Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 233 
  
keinen Umständen zugeben konnte, und zwar weder vom Standpunkte 
des deutschen Interesses, noch von seinem persönlichen. Hätte er gesagt: 
„Wir konnten diese Annäherung zwischen den beiden Westmächten be- 
dauerlicherweise nicht verhindern“, so hätte er damit in Deutschland nie- 
mandem gedient, und nach außen wäre eine solche Bemerkung so lange 
eine Unmöglichkeit gewesen, wie das Deutsche Reich beabsichtigte, mit 
Großbritannien und Frankreich in Frieden zu leben. 
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Hätte Fürst Bülow aber damals im Reichstage die Wahrheit sagen 
können, oder wäre man imstande gewesen, sie einwandfrei zu erkennen, 
so würde sich vermutlich gezeigt haben, daß es keine Ungeschicklichkeit, 
kein Mangel an Energie und rein diplomatischer Umsicht gewesen war 
seitens des Leiters der deutschen Politik und seiner Organe, sondern 
daß es sich um eine Konsequenz der Bülowschen Politik überhaupt 
handelte. 
Wir haben gesehen, mit welcher Ausdauer und Unermüdlichkeit 
trotz aller Differenzen in Gegenwart und BVergangenheit, trotz der tiefsten 
Verstimmungen zwischen Volk und Volk und verschiedentlich auch zwi- 
schen den leitenden Männern, Großbritannien immer wieder versucht 
hatte, die Politik des Deutschen Reiches für solche Wege zu gewinnen, 
die beide zusammen beschreiten könnten. Oie ständige Antwort Bülows 
in Wort und Tat war gewesen: Deutschland geht gelegentlich gern mit 
Großbritannien zusammen, natürlich nur da, wo seine eigenen Interessen 
die Hauptrolle spielen, natürlich auch nur unter der Bedingung vollster 
Gleichberechtigung und dabei unter restloser Wahrung der freien Hand 
nach anderen Seiten. Im britischen Parlamente warf man während jener 
Lahre der Regierung verschiedentlich vor, sie werbe in würdeloser Weise 
um deutsche Freundschaft und ein deutsches Bündnie und hole sich da- 
für kühle öffentliche Abweisungen vom deutschen Kanzler. Wir haben 
uns vorher bemüht, darzulegen, aus welchen Gründen und Anlässen 
diese Periode englischer Werbungen ihr Ende nahm. Bielleicht war die 
Bülowsche Stellungnahme der Mandschurei gegenüber nur der „etzte 
Tropfen“, aber darauf kommt es schließlich in diesem Zusammenhange 
nicht an. Von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der da- 
maligen deutschen Politik und ihrer im vollen Sinne des Begriffes grund- 
legenden Folgen ist aber die Tatsache, daß die entschiedene Annäherung 
Englands an Frankreich im selben Augenblicke erfolgte, wie die Abkehr 
von Deutschland. Für Großbritannien waren diejenigen Punkte, welche 
das Marokkoabkommen erledigte, weder dringlicher, noch vitaler Natur. 
Hätte sich ferner der jenseits der Nordsee gewünschte englisch-deutsche
	        
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