Die Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 233
keinen Umständen zugeben konnte, und zwar weder vom Standpunkte
des deutschen Interesses, noch von seinem persönlichen. Hätte er gesagt:
„Wir konnten diese Annäherung zwischen den beiden Westmächten be-
dauerlicherweise nicht verhindern“, so hätte er damit in Deutschland nie-
mandem gedient, und nach außen wäre eine solche Bemerkung so lange
eine Unmöglichkeit gewesen, wie das Deutsche Reich beabsichtigte, mit
Großbritannien und Frankreich in Frieden zu leben.
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Hätte Fürst Bülow aber damals im Reichstage die Wahrheit sagen
können, oder wäre man imstande gewesen, sie einwandfrei zu erkennen,
so würde sich vermutlich gezeigt haben, daß es keine Ungeschicklichkeit,
kein Mangel an Energie und rein diplomatischer Umsicht gewesen war
seitens des Leiters der deutschen Politik und seiner Organe, sondern
daß es sich um eine Konsequenz der Bülowschen Politik überhaupt
handelte.
Wir haben gesehen, mit welcher Ausdauer und Unermüdlichkeit
trotz aller Differenzen in Gegenwart und BVergangenheit, trotz der tiefsten
Verstimmungen zwischen Volk und Volk und verschiedentlich auch zwi-
schen den leitenden Männern, Großbritannien immer wieder versucht
hatte, die Politik des Deutschen Reiches für solche Wege zu gewinnen,
die beide zusammen beschreiten könnten. Oie ständige Antwort Bülows
in Wort und Tat war gewesen: Deutschland geht gelegentlich gern mit
Großbritannien zusammen, natürlich nur da, wo seine eigenen Interessen
die Hauptrolle spielen, natürlich auch nur unter der Bedingung vollster
Gleichberechtigung und dabei unter restloser Wahrung der freien Hand
nach anderen Seiten. Im britischen Parlamente warf man während jener
Lahre der Regierung verschiedentlich vor, sie werbe in würdeloser Weise
um deutsche Freundschaft und ein deutsches Bündnie und hole sich da-
für kühle öffentliche Abweisungen vom deutschen Kanzler. Wir haben
uns vorher bemüht, darzulegen, aus welchen Gründen und Anlässen
diese Periode englischer Werbungen ihr Ende nahm. Bielleicht war die
Bülowsche Stellungnahme der Mandschurei gegenüber nur der „etzte
Tropfen“, aber darauf kommt es schließlich in diesem Zusammenhange
nicht an. Von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der da-
maligen deutschen Politik und ihrer im vollen Sinne des Begriffes grund-
legenden Folgen ist aber die Tatsache, daß die entschiedene Annäherung
Englands an Frankreich im selben Augenblicke erfolgte, wie die Abkehr
von Deutschland. Für Großbritannien waren diejenigen Punkte, welche
das Marokkoabkommen erledigte, weder dringlicher, noch vitaler Natur.
Hätte sich ferner der jenseits der Nordsee gewünschte englisch-deutsche