Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

234 3. Abschnitt. Bor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Zusammenschluß damals vollzogen, so würde zweifelsohne — unbeschadet 
vielleicht irgendwelcher kolonialen Regelungen wie schon früher — die 
Entente Cordiale zwischen Frankreich und Großbritannien nicht einge- 
treten sein. Zu einer Entente Cordiale mit dem Deutschen Reiche be- 
durfte Großbritannien keiner mit Frankreich. Es gab genug Differenz- 
punkte zwischen den beiden Mächten, die Großbritannien dann mit Deutsch- 
land zusammen zu seinen und Deutschlands Gunsten mit Sicherbeit 
und Leichtigkeit hätte durchdrücken können. Großbritannien braucht aber 
notwendig eine der großen Festlandmächte, und als die britischen Staats- 
männer sahen, daß Deutschland im Gegenteil auf die Freundschaft Ruß- 
lands entscheidenden Wert legte, da vervielfachte sich jene Notwendig- 
keit für Großbritannien. 
Eine Erneuerung des russisch-deutsch-französischen Einverständnisses 
im fernen Osten von 1895, jetzt 1904, im Zeichen des Russisch-Japani- 
schen Krieges, also unter denkbar erschwerenden Umständen, war für die 
britische Politik ein unbedingt zu verbinderndes Ereignis. DOie einzige 
Möglichkeit, es zu verhindern, war, Frankreich an Großbritannien zu 
binden. Der weitere Grund kam hinzu, daß man in England nachgerade 
nicht mehr zweifeln konnte, das Deutsche Reich werde mit der Zeit zur 
See ein von Jahr zu JZahr mehr beachtenswerter Gegner werden. Auch 
unter diesem Gesichtspunkte war es von höchstem Interesse für Groß- 
britannien, sich maritim durch eine enge Freundschaft mit Frankreich 
im Mittelländischen Meer und am atlantischen Ausgange des Armelkanales 
entlasten zu können. Ob es König Eduard gewesen ist, dessen persönliche 
Einsicht und Neigung für diese Wendung maßgebend wurde, ist nicht 
bekannt, aber sicher, daß er ihr persönlich die Bahn gebrochen hat. Bei 
Delcassé kam er, wie wir wissen, nicht nur einem Wunsche, sondern dem 
Bedürfnis seiner Lebensarbeit entgegen. Aus allen diesen Gründen 
erklärte sich auch die Schnelligkeit, mit der sich die Ereignisse folgten: 
Anfang Zuni 1903 König Eduard in Paris, Anfang Juli 1903 Loubet 
und Delcassé in London, unmittelbar nachher Veröffentlichung des Schieds- 
vertrages, und ein halbes Jahr später schon die Beröffentlichung des 
umfangreichen Abkommens über Agppten, Marokko, Neufundland, die 
neuen Hebriden, Senegambien und Siam, weiter die gebeimen Ver- 
träge, über deren politische Bedeutung und internationale Tragweite 
sich niemand auf beiden Seiten im unklaren war. 
Eingesetzt hat diese neue Politik Englands anscheinend beinahe un- 
mittelbar nach der Thronbesteigung König Eduards. Kurz, alles deutet 
daraufhin, daß dieser Monarch das Programm in großen Zügen schon 
fertig mit auf den Thron brachte, vielleicht zum Teil in der instinktiven 
Erbenntnis, daß mit dem zu Lande stationären, zur See zurückgehenden
	        
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