Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

236 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
zierten Marokkovertrag vom Jahre 1902 und meinte, damals habe die 
Vorsehung Spanien vor einer furchtbaren Gefahr bewahrt. 
In Großbritannien äußerte man sich, wie stets in solchen Fällen, 
mit Zurückhaltung über das Abkommen. Der Minister des Auswärtigen, 
Lord Lansdowne, sprach von der Genugtuung, die man darüber emp- 
finden müsse, daß zwei große Nationen versöhnlich ihre Ansprüche unter- 
einander regelten, und hoffte, daß das auch in Zukunft geschehen möge. 
Der Premierminister Balfour meinte, man könne gleichwohl auch mit 
Deutschland in Frieden und Freundschaft leben. Vor allem aber sei nun 
endlich die ewige Drohung eines englisch-französischen Krieges beseitigt. 
Als Tauschgeschäft allein dürfte das Abkommen nicht betrachtet werden. 
Er glaube, daß die Geschichte es einst billigen werde, und daß diese wich- 
tige Urkunde als der Beginn einer neuen glücklichen Zeit in den inter- 
nationalen Beziehungen Großbritanniens werde betrachtet werden. — 
Bei aller Zurückhaltung des Aus#drucks fühlt man aus diesen Worten 
Mr. Balfours den großen Gesichtspunkt heraus: Großbritannien ist 
mit seiner Kontinentalpolitik aus der Periode der Unbestimmtheit und 
des Tastens herausgelangt. Die Entscheidung ist gefallen! 
Oie Frage, welche sich mit der neuen Kombination aufwerfen mußte: 
Wie wird die Stellung Rußlands, des Bundesgenossen Frankreichs be- 
einflußt werden, nachdem Frankreich und Großbritannien enge Freund- 
schaft geschlossen haben? — diese Frage blieb vorläufig offen, denn Ruß- 
land führte Krieg mit dem Bundesgenossen Großbritanniens! 
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Zu Lande wie zur See hatte der Krieg im fernen Osten einen aus- 
nahmslos unglücklichen Verlauf für die russischen Waffen genommen. 
Sämtliche Großmächte hatten ihre Aeutralität erklärt, China wurde auf 
Betrieb der Mächte und unter tätiger Anteilnahme des Deutschen Reiches 
neutralisiert. Beiläufig bemerkt, ermangelte man in England nicht, eben- 
sowenig wie auf seiten der deutschen Sozialdemokratie, dem Fürsten 
Bülow diese Beteiligung als eine Parteinahme für Rußland, also als einen 
Mangel an ANeutralität, auszulegen. In Wirklichkeit war die Neutrali- 
sierung Chinas etwas Selbstverständliches, besonders vom Standpunkte 
derjenigen Mächte, die wirtschaftliche Interessen in China besaßen. Sie 
konnten nicht wünschen, daß auch außerhalb der Mandschurei der chine- 
sische Boden zum Kampfplatz werde. Natürlich war es für Rußland eine 
Erleichterung, daß die vom Beginne des Krieges an auf Kriegefuß stebende 
Armee des chinesischen Generals Ma in der Mongolei damit ausgeschaltet 
wurde. Sie hatte eine schwere Drohung für die rechte russische Flanke 
gebildct.
	        
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