Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oie Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 239 
  
Vorfälle nicht wieder vorkämen. Die britische Regierung ließ in Peters- 
burg dringende Vorstellungen erheben. Oer russische Minister des Aus- 
wärtigen erklärte, man habe noch keinen Bericht vom russischen Admiral, 
anscheinend handle es sich um ein bedauerliches Mißverständnis. Fried- 
lich und nichtssagend erledigt wurde der Zwischenfall dann durch ein 
internationales ad hoc gebildetes Schiedsgericht, das — auf französische 
Vermittlung — von Rußland vorgeschlagen und von England angenommen 
wurde. Hohe Seeoffiziere und Zuristen setzten es zusammen; die russische, 
die britische, die französische Marine sowie die der Vereinigten Staaten 
stellten die Mitglieder. Durch Ubereinkommen zwischen diesen Mitgliedern 
wurde noch ein fünftes Mitglied ernannt, und zwar ein österreichischer 
Admiral. Bezeichnend für die damalige Stellung des ODeutschen Reiches 
war das Fehlen eines deutschen Seeoffiziers als Mitglied der Kommission. 
Eine Beteiligung des Deutschen Reiches wäre an sich selbstverständlich 
gewesen und hätte sehr viel näher gelegen als die Hinzuziehung der Ver- 
einigten Staaten und Österreich-Ungarns. 
Ourch die Annahme einer schiedsgerichtlichen Erledigung auf inter- 
nationaler Grundlage war der Situation die Gefahr genommen worden, 
und die Angelegenheit selbst wurde damit auf ein Aebengeleise geschoben. 
Zmmerhin sind die Dinge eine kurze Zeitlang damals gefahrdrohend ge- 
wesen, und es ist vielleicht nur der Kaltblütigkeit König Eduards zu ver- 
danken, wenn der Zustand der englischen Stimmung sich nicht durch die 
Explosion eines großen Krieges entlud. Der König wollte die Brücken 
für späteres Zusammengehen mit Rußland nicht abbrechen. 
UÜberaus auffällig war gerade damals die zur höchsten Feindseligkeit 
gegen Deutschland gereizte Stimmung der öffentlichen Meinung in Eng- 
land. Es ist behauptet worden, daß die deutsche Flotte Befehl hatte, sich 
bereit zu halten, daß englische Streitkräfte, insbesondere Unterseeboote, 
nächtelang nicht weit von Helgoland patrouilliert hätten, um die ausfahrende 
deutsche Flotte anzugreifen. Wie weit die Dinge tatsächlich gediehen waren, 
wie nahe man vor dem Ausbruche eines Krieges gestanden hat, ist nicht 
bekannt geworden, und es wird erst einer späteren Periode vorbehalten 
sein, die Einzelheiten zuverlässig kennen zu lernen. Dem Oeutschen mußte 
sich angesichts der Kriegögerüchte und der englischen Stimmung vor allem 
die Frage aufdrängen, inwiefern gerade Deutschland in diese rein eng- 
lisch-russische Angelegenheit der Beschießung englischer Fischdampfer 
durch russische Kriegeschiffe hätte verwickelt gewesen sein können. Auf 
diese Frage gibt es wohl nur die Antwort: daß man nämlich in weiten 
Kreisen Englands an das Bestehen eines deutsch-russischen Geheimver-- 
trages glaubte. Daß ein solcher im Werden gewesen ist, haben Enthüllungen 
der russischen Revolutionsregierung im Jahre 1917 bestätigt. Auf diese
	        
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