Oie Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 239
Vorfälle nicht wieder vorkämen. Die britische Regierung ließ in Peters-
burg dringende Vorstellungen erheben. Oer russische Minister des Aus-
wärtigen erklärte, man habe noch keinen Bericht vom russischen Admiral,
anscheinend handle es sich um ein bedauerliches Mißverständnis. Fried-
lich und nichtssagend erledigt wurde der Zwischenfall dann durch ein
internationales ad hoc gebildetes Schiedsgericht, das — auf französische
Vermittlung — von Rußland vorgeschlagen und von England angenommen
wurde. Hohe Seeoffiziere und Zuristen setzten es zusammen; die russische,
die britische, die französische Marine sowie die der Vereinigten Staaten
stellten die Mitglieder. Durch Ubereinkommen zwischen diesen Mitgliedern
wurde noch ein fünftes Mitglied ernannt, und zwar ein österreichischer
Admiral. Bezeichnend für die damalige Stellung des ODeutschen Reiches
war das Fehlen eines deutschen Seeoffiziers als Mitglied der Kommission.
Eine Beteiligung des Deutschen Reiches wäre an sich selbstverständlich
gewesen und hätte sehr viel näher gelegen als die Hinzuziehung der Ver-
einigten Staaten und Österreich-Ungarns.
Ourch die Annahme einer schiedsgerichtlichen Erledigung auf inter-
nationaler Grundlage war der Situation die Gefahr genommen worden,
und die Angelegenheit selbst wurde damit auf ein Aebengeleise geschoben.
Zmmerhin sind die Dinge eine kurze Zeitlang damals gefahrdrohend ge-
wesen, und es ist vielleicht nur der Kaltblütigkeit König Eduards zu ver-
danken, wenn der Zustand der englischen Stimmung sich nicht durch die
Explosion eines großen Krieges entlud. Der König wollte die Brücken
für späteres Zusammengehen mit Rußland nicht abbrechen.
UÜberaus auffällig war gerade damals die zur höchsten Feindseligkeit
gegen Deutschland gereizte Stimmung der öffentlichen Meinung in Eng-
land. Es ist behauptet worden, daß die deutsche Flotte Befehl hatte, sich
bereit zu halten, daß englische Streitkräfte, insbesondere Unterseeboote,
nächtelang nicht weit von Helgoland patrouilliert hätten, um die ausfahrende
deutsche Flotte anzugreifen. Wie weit die Dinge tatsächlich gediehen waren,
wie nahe man vor dem Ausbruche eines Krieges gestanden hat, ist nicht
bekannt geworden, und es wird erst einer späteren Periode vorbehalten
sein, die Einzelheiten zuverlässig kennen zu lernen. Dem Oeutschen mußte
sich angesichts der Kriegögerüchte und der englischen Stimmung vor allem
die Frage aufdrängen, inwiefern gerade Deutschland in diese rein eng-
lisch-russische Angelegenheit der Beschießung englischer Fischdampfer
durch russische Kriegeschiffe hätte verwickelt gewesen sein können. Auf
diese Frage gibt es wohl nur die Antwort: daß man nämlich in weiten
Kreisen Englands an das Bestehen eines deutsch-russischen Geheimver--
trages glaubte. Daß ein solcher im Werden gewesen ist, haben Enthüllungen
der russischen Revolutionsregierung im Jahre 1917 bestätigt. Auf diese