240 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908.
Hergänge wird weiter unten zurückzukommen sein. Die britische Presse
war damals bereits voll von derartigen Andeutungen, ja, von Behaup-
tungen, daß es der Fall sei. Die britischen Blätter behaupteten weiter,
daß die Baltische Flotte Rußlands durch deutsche Warnungen absichtlich
nervös gemacht worden sei. Tatsächlich hat der Deutsche Reichskanzler sich
im November des ZJZahres 1904, also wenige Wochen nach dem Huller
Zwischenfalle, mehrere Male öffentlich zu diesen englischen Auffassungen
geäußert, und zwar englischen Journalisten und Literaten gegenüber.
Seine Außerungen zeigen, wie ernst die Lage war und was für Momente
hineinspielten. Der Kanzler erklärte u. a., daß die russische Regierung
schon im August die deutsche darauf aufmerksam gemacht habe: nach
ihr zugegangenen Nachrichten — also durch geheime Agenten — müsse sie
Angriffe auf ihre Flotte vom deutschen Gebiete aus befürchten. Die
deutsche Regierung habe auf diese russischen Mitteilungen hin sich als
neutrale Macht verpflichtet gehalten, Maßnahmen zur Verhinderung
eines solchen Angriffes zu treffen. Die deutschen See- und Hafenbehörden
seien angewiesen worden, die Augen aufzuhalten. In Dänemark sei das-
selbe geschehen. Man wird annehmen können, daß die deutschen Uber-
wachungsmaßregeln sich ganz besonders auch auf den Nordostseekanal er-
streckt haben, und es liegt nahe genug, daß angesichts der allgemeinen
Spannung der Lage, möglicherweise auch infolge geheimer Nachrichten
die deutsche Flotte sich in einem gewissen Bereitschaftszustande befunden
hat. Daß diese Maßnahmen von der englischen Presse als gegen England
gerichtet bezeichnet wurden, ist an sich gleichwohl unerklärlich, zumal die
deutsche Flotte von 1904 wahrlich nicht geeignet war, als Angrifföwerkzeug
gegen die britische zu dienen. Genug, wir müssen uns zur Kennzeichnung
der damaligen Lage mit der Feststellung begnügen, daß die Feindseligkeit
der britischen Stimmung gegen Deutschland einen noch nicht dagewesenen
Höhepunkt erreichte, was ziemlich viel sagen wollte. Als die Baltische Flotte
Rußlands die Nordsee verlassen hatte, erschien in der Zeitschrift „The
Army and Navy Gazette“ ein Aufsehen erregender Artikel, dessen in-
tellektuelle Urheberschaft der britischen Admiralität zugeschrieben wurde.
Dieser Artikel setzte auseinander, daß der Moment gekommen scheine,
mit der deutschen Flotte ein Ende zu machen. Die russische Flotte sei,
möglicherweise auf Nimmerwiedersehen, aus den nordeuropäischen Ge-
wässern verschwunden, die Kriegsflotte Deutschlands stehe völlig allein.
Zetzt oder nie sei die Gelegenheit für England gekommen, die mit jedem
ZLahre drohender anwachsende deutsche Flotte ein für allemal zu besei-
tigen. Niemand könne wissen, ob spätere Jahre wieder eine solche Ge-
legenheit bieten würden. Die gleiche Tonart wurde von einer Reihe
verbreiteter und einflußreicher britischer Organe angeschlagen. Gerade