Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

246 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Schlachtschiffen, von denen freilich der größere Teil nicht auf der Höhe 
der Zeit war, aus zwei Panzerkreuzern, die ebenfalls den im Kriege ihnen 
zu stellenden Anforderungen nicht entsprachen, und aus sechs kleinen 
Kreuzern. Oie Uberlegenheit allein der englischen Kanalflotte war so- 
mit eine zweifellose. Außer ihr wurde noch ein zweites mächtiges und 
ebenso ständig kriegsbereites Flottenkontingent geschaffen, nämlich die 
neugebildete „Atlantische Flotte“. Diese setzte sich aus den stärksten und 
schnellsten Schiffen der Flotte zusammen, nämlich den neuen Vertretern 
der „King Edward“-Klasse; sie waren im Frühjahr 1905 noch nicht alle 
fertig, nahmen aber schnell nacheinander ihren Platz in der „Atlantischen 
Flotte“ ein. Dazu kam das II. Kreuzergeschwader, ebenfalls aus sechs 
Panzerkreuzern bestehend. Die „Atlantische Flotte“ konnte bei ihrer 
Mittelstellung zu Gibraltar im gleichen Zeitraume weniger Tage, sei es 
bis Malta oder im Armelkanale auftreten; außerdem war sie für irgend- 
wie denkbare Verwicklungen auch in der Lage, schnell den Atlantischen 
Ozean zu durchqueren. 
Ein besonders wichtiger Teil der neuen Organisation war neben 
dieser aktiven und stets kriegsbereiten Flotte die Bildung einer organi- 
sierten Reserveflotte. Früher hatte man wohl eine Anzahl von Reserve- 
schiffen auf den Werften gehabt, die bei Ausbruch eines Krieges mit mög- 
lichster Beschleunigung instandgesetzt und bemannt worden waren, das 
waren aber nur einzelne Schiffe ohne organisatorischen Zusammenhang, 
die auch in Friedenszeiten völlig unbemannt waren. Anstatt dieser wurde 
nunmehr in den drei britischen Häfen Devonport, Portsmouth und Cha- 
tham-Sheerneß eine „Flotte im Dienst in Reserve“ gebildet; sie war in 
kriegsmäßige Berbände gegliedert und in einem hohen Stand dauernder 
Bereitschaft. 
Oer Schwerpunkt der Flotte Großbritanniens war aus dem Mittel- 
meer fortgerückt und in die Nordsee verlegt worden. Es ist keine Uber-- 
treibung, diese Berlegung zu den epochemachenden Ereignissen der poli- 
tischen Geschichte Europas zu rechnen. Die Verlegung des Schwerpunktes, 
die Schwächung der Mittelmeerflotte, die Stärkung der Kanalflotte be- 
deuteten zugleich einen Frontwechsel, dessen Bedeutung man nur im 
Rahmen aller geschilderten politischen Verhältnisse der vorhergegan- 
genen Jahre würdigen kann. Im Jgahre 1904 wurde der neue Organi- 
sationsplan ausgearbeitet, im selben JLahre 1904 das Abkommen zwischen 
Frankreich und Großbritannien geschlossen und die Entente Cordiale 
besiegelt. Man würde viel zu weit gehen mit der Behauptung, daß die 
Entente Cordiale für Großbritannien nur deshalb Bedürfnis geworden 
sei, weil es stärkere Flottenkontingente für seine heimatlichen Küsten 
frei zu bekommen wünschte. Wir haben gesehen, daß eine Reihe von
	        
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