Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oer britische Flottenfrontwechsel — Die Bedeutung der Dreadnoughtpolitik. 247 
  
politischen Ursachen und Momenten diese Annäherung überhaupt für die 
britische Politik nicht nur wünschenswert, sondern notwendig erscheinen 
ließen. Daß der rein maritime Gesichtspunkt aber eine der Hauptursachen 
bildete, ist nicht zu bezweifeln. Richt, daß es gerade gedrängt hätte, aber 
als alte maritime und marinepolitische Praktiker wußten die britischen 
Autoritäten, daß eine so umfangreiche und durchgreifende Neuorgani- 
sation einer so gewaltigen Flotte sich nicht von heute auf morgen durch- 
führen läßt, und daß die Geschwaderverbände in sich wie in Verbindung 
mit ihren neuen Stützpunkten und Reparaturwerkstätten gewissermaßen 
sich erst einleben mußten, ehe sie den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit 
erreichen konnten. Die britische Admiralität und Regierung waren sich 
darüber klar, wie wir sahen, daß das Anwachsen des neuen, des deutschen 
Flottenfaktors in der Nordsee andauern werde. Darüber konnte kein Zwei- 
fel bestehen, nachdem man hatte feststellen müssen, daß Deutschland sein 
Flottengesetz durchführte. Unter diesem Gesichtspunkte mußte und muß 
noch heute jene britische Neuorganisation beurteilt werden. Sie war keine 
Maßnahme ab irato, keine Folge einer politischen Konstellation, sondern 
sie bezeichnete eine grundsätzliche und grundlegende NReuorientierung der 
gesamten britischen Marinepolitik in harmonischer Berflechtung mit der 
neuen britischen Festlandspolitik. Dieser Neuorientierung der Marine-- 
politik mußte die Neuordnung der Grundlage jeder Marinepolitik: der 
Flotte, folgen. 
Als in den ersten Tagen des Jahres 1900 die neue deutsche Flotten- 
vorlage herausgegeben war, las man in ihrer Begründung die Sätze: 
„.E-s ist nicht unbedingt erforderlich, daß die deutsche Schlacht- 
flotte ebenso stark ist, wie die der größten Seemacht; denn eine große 
Seemacht wird im allgemeinen nicht in der Lage sein, ihre sämtlichen 
Streitkräfte gegen uns zu konzentrieren. Selbst wenn es ihr aber auch 
gelingt, uns mit größerer Ubermacht entgegenzutreten, so würde doch 
die 2iederkämpfung einer starken deutschen Flotte den Gegner so er- 
heblich schwächen, daß dann trotz des etwa errungenen Sieges die eigene 
Machtstellung zunächst nicht mehr durch eine ausreichende Flotte ge- 
sichert wäre. Da der Schifföbestand der deutschen Marine auch nach Ourch- 
führung der geplanten Bermehrung noch mehr oder minder gegen den 
Schiffsbestand anderer Großmächte zurückstehen wird, so muß ein Aus- 
gleich in der Ausbildung des Personals und in der taktischen Schulung 
im größeren Verbande gesucht werden.“ — 
Die Organisation der deutschen Flotte, also der Rahmen, in den 
sie allmählich hbineinwuchs, war auf den Gedanken „taktischer Schulung 
im größeren Verbande“ zugeschnitten und teils aus ihm erwachsen. Dieser 
Gedanke war in den Ubungen, man möchte sagen in den Vorübungen
	        
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