Oer britische Flottenfrontwechsel — Die Bedeutung der Dreadnoughtpolitik. 247
politischen Ursachen und Momenten diese Annäherung überhaupt für die
britische Politik nicht nur wünschenswert, sondern notwendig erscheinen
ließen. Daß der rein maritime Gesichtspunkt aber eine der Hauptursachen
bildete, ist nicht zu bezweifeln. Richt, daß es gerade gedrängt hätte, aber
als alte maritime und marinepolitische Praktiker wußten die britischen
Autoritäten, daß eine so umfangreiche und durchgreifende Neuorgani-
sation einer so gewaltigen Flotte sich nicht von heute auf morgen durch-
führen läßt, und daß die Geschwaderverbände in sich wie in Verbindung
mit ihren neuen Stützpunkten und Reparaturwerkstätten gewissermaßen
sich erst einleben mußten, ehe sie den Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit
erreichen konnten. Die britische Admiralität und Regierung waren sich
darüber klar, wie wir sahen, daß das Anwachsen des neuen, des deutschen
Flottenfaktors in der Nordsee andauern werde. Darüber konnte kein Zwei-
fel bestehen, nachdem man hatte feststellen müssen, daß Deutschland sein
Flottengesetz durchführte. Unter diesem Gesichtspunkte mußte und muß
noch heute jene britische Neuorganisation beurteilt werden. Sie war keine
Maßnahme ab irato, keine Folge einer politischen Konstellation, sondern
sie bezeichnete eine grundsätzliche und grundlegende NReuorientierung der
gesamten britischen Marinepolitik in harmonischer Berflechtung mit der
neuen britischen Festlandspolitik. Dieser Neuorientierung der Marine--
politik mußte die Neuordnung der Grundlage jeder Marinepolitik: der
Flotte, folgen.
Als in den ersten Tagen des Jahres 1900 die neue deutsche Flotten-
vorlage herausgegeben war, las man in ihrer Begründung die Sätze:
„.E-s ist nicht unbedingt erforderlich, daß die deutsche Schlacht-
flotte ebenso stark ist, wie die der größten Seemacht; denn eine große
Seemacht wird im allgemeinen nicht in der Lage sein, ihre sämtlichen
Streitkräfte gegen uns zu konzentrieren. Selbst wenn es ihr aber auch
gelingt, uns mit größerer Ubermacht entgegenzutreten, so würde doch
die 2iederkämpfung einer starken deutschen Flotte den Gegner so er-
heblich schwächen, daß dann trotz des etwa errungenen Sieges die eigene
Machtstellung zunächst nicht mehr durch eine ausreichende Flotte ge-
sichert wäre. Da der Schifföbestand der deutschen Marine auch nach Ourch-
führung der geplanten Bermehrung noch mehr oder minder gegen den
Schiffsbestand anderer Großmächte zurückstehen wird, so muß ein Aus-
gleich in der Ausbildung des Personals und in der taktischen Schulung
im größeren Verbande gesucht werden.“ —
Die Organisation der deutschen Flotte, also der Rahmen, in den
sie allmählich hbineinwuchs, war auf den Gedanken „taktischer Schulung
im größeren Verbande“ zugeschnitten und teils aus ihm erwachsen. Dieser
Gedanke war in den Ubungen, man möchte sagen in den Vorübungen