Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

XXVIII Zur Einführung. 
  
zösischen Spannung undrichtet sich selbstbeemußt und offen gegen das Deutsche 
Reich; Großbritanmien steht aufjedes Risikohinter Frankreich. Als dann in den- 
selben Jahren 1904 und 1905 Rußland auf Englands Veranlassungvon Japan 
im Fernen Osten geschlagen worden war und im Znneren durch Revolution 
zerrüttet wurde, stand auch dem britisch-russischen Zusammenschlusse kein 
Hindernis mehr im Wege. Er begann sofort, und sein formaler Bollzug 
fand 1907 statt. In die gleiche Zeitperiode fällt die entschlossen gegen 
Deutschland betätigte Stellungnahme der Entente Cordiale, nämlich in 
der Marokkofrage. Die Konferenz in Algeciras liefert den Beweis, daß 
das Deutsche Reich in der Marokkofrage, in der das Recht völlig auf deut- 
scher Seite steht, ganz Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika 
gegen sich hat. Auch Ztalien steht auf der Gegenseite, und der andere 
Bundesgenosse Osterreich-Ungarn wagt nicht, über eine neutrale Haltung 
hinauszugehen und nicht mehr zu tun, als der deutschen Diplomatie 
ihren Rückzug auf der Konferenz zu vermitteln. Das Deutsche Reich sieht 
sich isoliert und von allen vermeintlichen Freunden verlassen. Dabei be- 
findet es sich militärisch in denkbar günstiger Lage, denn Rußland ist wehr- 
los und Frankreich nicht bereit. Die deutsche Friedensliebe ist aber unbe- 
dingt, und deshalb wird die Gelegenheit nicht benutzt, dem Deutschen Reiche 
freie Luft zum Atmen in Europa und in der Welt ein für allemal zu schaffen. 
Unter Großbritanniens Führung wird nach diesen seinen großen Er- 
folgen die antideutsche Koalition immer umfangreicher und schließt sich 
immer fester zusammen. England und Frankreich treffen mit Belgien 
die berühmten Abmachungen und schließen im Mittelmeer mit Spanien 
und Italien Verträge. Oer britischen Staatskunst ist es gelungen, Nor- 
wegen von Schweden zu trennen und einen dänischen Prinzen auf den 
norwegischen Thron zu bringen, dessen Frau eine Britin ist. Die große 
Bedeutung dieses englischen Schachzuges ist dem deutschen Bolke erst jetzt 
in diesem Kriege zum Bewußtsein gelangt: ein Großbritannien bot- 
mäßiges Norwegen, ein geschwächtes, unentschlossenes Schweden, ein 
überwiegend deutschfeindliches Skandinavien, eine ununterbrechbare Ver- 
bindung zwischen Rußland und Großbritannien. Auch im Fernen Osten 
wird gesorgt, daß die deutschen Interessen und Bestrebungen auf Schritt 
und Tritt gegen geschlossenen Widerstand aller anderen Mächte anzu- 
kämpfen haben und durch sie lahmgelegt werden. 
Im Jahre 1908/09 wird die Bosnische Krisis zu einer Generalprobe 
der Wirksamkeit des bisher von König Eduard und seinen Helfern gelei- 
steten Werkes. Die Probe zeigt, daß Rußland einen Krieg noch nicht 
führen kann und Frankreich ihn deshalb nicht führen will. Großbri- 
tanniens Gewinn aus der Krisis bleibt: Berschärfung der europäischen 
Lage und des russischen Hassesgegen Deutschland und Osterreich-Ungarn, wei-
	        
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