Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

258 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905—1908. 
  
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung“, offenbar in Borbereitung der Kaiser- 
reise, ausgeführt, daß der Deutsche Kaiser bereits im vorigen Zahre zu 
Bigo dem Könige von Spanien auedrücklich erklärt habe, das Deutsche 
Reich wolle keinerlei territoriale Vorteile irgendwelcher Art in Marokko, 
sondern nur die Fortdauer der wirtschaftlichen Gleichberechtigung. „Bies 
heute", schrieb das Blatt, „haben wir keinen Anlaß zu vermuten, daß 
der Sultan von Marokko Verpflichtungen einzugehen beabsichtigt, die 
seine Unabhängigkeit beschränken und ihn künftighin verhindern wür- 
den, allen handeltreibenden VBölkern auf seinem Gebiete die gleiche Be- 
bandlung zuteil werden zu lassen.“ Dieser Satz bezog sich auf die Vor- 
schläge, die der französische Gesandte Saint René Taillandier eben vor- 
ber dem Sultan von Marokko in Fes gemacht hatte. Man darf dieses 
für die Beurteilung der folgenden Vorgänge nicht vergessen. Es handelte 
sich nicht um ein allgemeines und „grundsätzliches“ Auftrumpfen, nicht 
allein um die Ignorierung des Deutschen Reiches durch Delcassé, sondern 
der — nicht nur äußerliche — Anlaß wurde eben durch die französischen 
-Reformvorschläge“ an den Sultan gebildet. 
Der Kaiser wurde in Tanger vom Onkel des Sultans empfangen und 
in einer Ansprache freudig begrüßt. Der Kaiser erklärte, er habe hohes 
Interesse an dem Wohlergehen und dem Gedeihen des Marokkanischen 
Reiches. Er besuche den Sultan als unabhängigen Herrscher und hoffe, 
daß unter der Herrschaft des Sultans ein freies Marokko dem friedlichen 
Wettbewerbe aller Nationen, ohne Monopole und Ausschließung, ge- 
öffnet werden würde. Einer Abordnung der deutschen Kolonie sagte der 
Kaiser u. a.: Deutschland habe große Handelsinteressen in Marokko, und 
dieser Handel nehme einen erfreulichen Aufschwung. Der Kaiser werde 
sich angelegen sein lassen, den Handel zu fördern, das sei aber nur unter 
der Voraussetzung der Gleichberechtigung aller Mächte möglich, fer- 
ner unter der Souveränität des Sultans und der Unabhängigkeit des 
Landes. Sein Besuch bilde die Anerkennung dieser Unabhängigkeit. 
Der Onkel des Sultans Scheikh Abd el Malek las in der deutschen 
Gesandtschaft dem Kaiser ein Schreiben des Sultans vor, das den Wunsch 
enthielt und betonte, die marokkanisch-deutsche Freundschaft in jeder 
Weise zu erweitern und zu kräftigen. Der Kaiser erwiderte und betonte 
dieselben Gesichtspunkte wie vorher, sagte außerdem: Sein Besuch in 
Tanger bezwecke darzutun, daß die deutschen Interessen in Marokko ge- 
schützt und gewahrt werden sollten. Uber die besten Mittel, das zu er- 
reichen, werde er sich mit dem Sultan ins Einvernehmen setzen. Der 
Kaiser betrachte den Sultan als freien, unabhängigen Herrscher. 
Auf der Rückfahrt von Tanger lief die Kaiserflottille Gibraltar an, 
wurde vom britischen Gouverneur empfangen. Kaiser Wilhelm nahm
	        
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