Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

262 5. Abschnitt. Bor und nach Algeciras. 1005-1008. 
  
kussion gestellt würden. Frankreich allein habe das Recht, in Marokko 
zu intervenieren. Die marokkanische Regierung müsse sich fügen, da 
sie selbst nicht imstande sei, Ruhe und Ordnung in ihrem Lande zu 
schaffen. 
Der deutsche Reichskanzler schrieb am 22. Mai an den Botschafter 
Fürsten Radolin, daß diese Meldungen nicht geeignet seien, den Ein- 
druck von dem stürmischen Charakter der Delcasséschen Marokkopolitik 
zu ändern. Der französische Gesandte Saint René Taillandier wolle ohne 
weiteres die Hand auf Marokko legen und dem Sultan den Berkehr mit 
den übrigen Unterzeichnungsmächten des Madrider Vertrages verbieten. 
Er, Bülow, glaube nicht, daß der französische Ministerpräsident Rouvier 
dieser Ansicht sei. — Rouvier hatte im April bereits eine versöhnlich 
klingende Sprache geführt, u. a. erklärt: „Deutschland verlangt von uns, 
daß wir seine Interessen respektieren; wir verlangen nichts Besseres.“ 
In diese Erörterungen und Berichte hinein spielten nun die wichtigen 
Ereignisse, die man nach der Haltung der einschlägigen Presse in Deutsch- 
land und in Frankreich, außerdem nach den sogenannten Delcassêschen 
Enthüllungen für im großen und ganzen autbentisch halten muß: 
Um Mitte Mai des Zahres 1905 brachte der deutsche Botschafter 
Graf Wolff-Metternich das Folgende in Erfahrung und berichtete ent- 
sprechend nach Berlin: In der Zeit zwischen dem Frühjahr 1904 und 
der Tangerreise des Deutschen Kaisers habe die britische Diplomatie 
dreimal in Paris anfragen lassen, ob ein englisch-französischer Bündnis-- 
vertrag willkommen wäre. DOelcassé hätte lange nicht darauf geantwor- 
tet, jedoch durch den französischen Botschafter in London, Mr. Paul Cam- 
bon, die Berhandlungen wieder aufnehmen lassen, nachdem die fran- 
zösisch-deutschen Beziehungen erheblich schlechter geworden waren. Der 
britische Staatssekretär des Auswärtigen habe mündlich an Frankreich 
für den Kriegsfall eine tatsächliche Unterstützung zugesagt, mit dem Be- 
merken, daß, sobald der Kriegsfall einträte, die schriftliche Festlegung 
dieser Berpflichtung erfolgen werde. Fürst Bülow habe sich hierauf an 
die italienische Regierung mit der Anfrage gewendet, daß Deutschland 
zu wissen wünsche, welche Ziele die französisch-englische Koalition ver- 
folge. — Fürst Bülow hat später in Abrede gestellt, daß er für seine An- 
frage über die Ziele der Entente sich Italiens als Zwischenglied bedient 
habe. — Die italienische Regierung machte dem französischen Bot- 
schafter in Rom, Mr. Barrere, Mitteilung. Der französische Minister- 
präsident Mr. Rouvier erkannte die Aähe der Kriegsgefahr und zugleich, 
daß — wollte Frankreich den Krieg nicht — sofortiges Handeln nötig sei. 
Am 6. Juni 1905 versammelte Rouvier den Ministerrat, um den deutschen 
Vorschlag, eine internationale Konferenz über die Marokkofrage zu berufen,
	        
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