Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 269 
  
später. Auf der anderen Seite hätte sich wie gesagt Rußland nicht im- 
stande gesehen, seinen französischen Bundesgenossen wesentlich zu unter- 
stützen, Frankreich war militärisch nicht bereit. Es kann keinem Zweifel 
unterliegen, daß ein damals geführter deutsch-französischer Krieg mit 
schneller und völliger Niederwerfung Frankreichs geendet haben würde. 
Für Österreich-Ungarn würde der Bündnisfall wegen des Ausfalls Ruß- 
lands als Angreifer wahrscheinlich nicht gegeben gewesen sein, der Balkan 
wäre ruhig, Rumänien den Oreibundmächten befreundet geblieben, und 
so würden, trotz der Abschneidung überseeischer Zufuhr, Nahrungemittel- 
sorgen für die deutsche Bevölkerung nicht Platz gegriffen haben. Alles 
in allem: das Deutsche Reich hätte die Gelegenheit sowohl wie die Mög- 
lichkeit gehabt, Frankreich zu zerschmettern, um den Preis des Berlustes 
der deutschen Handelsflotte, wahrscheinlich auch der Kriegsflotte, der 
deutschen Kolonien und des deutschen AUberseehandels. Wie sehr man 
sich in Frankreich während der Delcassés Rücktritt folgenden Zeit, beson- 
ders auch der nächsten Zeit nach Algeciras, dieser Tatsachen bewußt war, 
gebt aus verschiedenen französischen Uberlegungen damals über die Frage 
hervor, ob es in einem kommenden englisch deutschen Kriege für Frank- 
reich richtiger sei, teilzunehmen oder neutral zu bleiben. In der deutschen 
Presse erschienen daraufbin taktisch-politisch recht unkluge Ausführungen, 
die darin gipfelten: Deutschland werde sich in einem Kriege mit England 
auch an einem neutralen Frankreich schadlos halten, es gewissermaßen 
als Geisel benutzen. 
Was England betrifft, so gab es damals eine Strömung, welche, 
wie wir gesehen haben, zu einem Vorbeugungskriege gegen Deutschland 
drängte, man wollte die deutsche Flotte vernichten, solange es mit ver- 
hältniomäßig leichter Mühe möglich sei, Helgoland wegnehmen und Oeutsch- 
land alo Seehandelomacht und als Kolonialmacht aus der Welt schaffen. 
Es ist außer Frage, daß ein deutsch-französischer Krieg Großbritan-- 
nien sofort auf dem Plane gefunden haben würde. Denn damals hatte 
Großbritannien nicht, wie 1914, die freilich auch damals irrige Dber- 
zeugung: Oeutschland würde zu Lande geschlagen werden. 1904 und 
1905 wußte man in London gut genug, daß die im Einfrontenkriege ge- 
sammelt verwendeten deutschen Armeen Frankreich überrennen würden. 
Geschah das, so mußte das Deutsche Reich von selbst die vorherrschende 
Macht auf dem europäischen Festlande werden, Frankreich würde wahr- 
scheinlich aus der Reihe der Großmächte für immer auzgeschaltet sein, 
mit dem Zweibunde war es endgültig aus, und Deutschland konnte, wenn 
e5 wollte, sich später mit ganzer Kraft gegen Rußland wenden, um auch 
dieses einzeln zu bekämpfen und niederzuwerfen. Ein solcher Gang der 
Dinge, das erkannte man in London, würde der großbritannischen Politik
	        
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