276 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903 1008.
deutsche Absicht, sich ein wirtschaftliches Monopol im Bereiche der chine-
sischen Provinz Schantung zu schaffen. Von solchen Bestrebungen war,
beilãufig bemerkt, nicht die Rede, aber es kam den Engländern darauf an,
in China wie in Japan Stimmung gegen Deutschland und die deutschen
Kaufleute zu machen.
Anfang Januar 1906 hielt der neue Staatssekretär, Sir Edward Grey,
eine Rede, in der die Stelle vorkam: „England wird sein möglichstes tun,
um seine Beziehungen zu Oeutschland zu verbessern, aber diese Annäherung
bleibt immer von einem guten Einverständnis zwischen Deutschland und
Frankreich abhängig“; mit anderen Worten: England verlangt vom Deut-
schen Reiche, daß es sich mit Frankreich gut stelle, also den Franzosen in
all ihren Wünschen zu Willen sei. Zugleich bildete diese Wendung Greys
eine Antwort auf jenc damals einsetzenden vielfach gutgemeinten, aber
tatsächlich verfeblten sogenannten Verständigungsbemühungen zwischen
Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ungefähr seit dem Jahre
1904 war es zu einer Art Mode geworden, daß Angehörige der deutschen
Finanz, des Sandels, der Presse, der Kommunalbeamtenschaft, der Künst-
ler- und Gelehrtenwelt entweder entsprechende englische Kreise einluden
oder zum Besuche nach England gingen, um so die „Verständigung“ zwi-
schen den beiden Bölkern zu fördern, VBerstimmungen und Mißverständ-
nisse auszuscheiden. In England hatten sich zum selben Zwecke einige
unbedeutende Organisationen gebildet. In Deutschland förderte die Re-
gierung diese sogenannten Verständigungsbestrebungen mit einer Be-
Flissenheit, die einerseits ihren Zweck nicht erreichte, anderseits als Schwäche
ausgelegt werden konnte. Oer Grundgedanke der Bestrebungen ging
aus dem Mangel an Verständnis für die eigentlichen Triebfedern und
Ursachen des englisch-deutschen Gegensatzed bervor.
Wie der belgische Geschäftsträger zu London in Zanuar 1906 seiner
Regierung berichtete, sagte Sir Edward Grey damals zu wiederholten
Malen den verschiedenen in London beglaubigten Botschaftern, daß Groß-
britannien Frankreich gegenüber bezüglich Marokkos Verpflichtungen
eingegangen sei, denen es bis zum Außersten nachkommen werde, selbft
im Falle eines deutsch-französischen Krieges und auf alle Gefahr hin. —
Während die Konferenz tagte, tat man großbritannischerseit alles, um
den Franzosen Deutschland gegenüber den Rücken zu stärken und ihnen
jeden Zweifel an der englischen Zuverlässigkeit zu nehmen. Das bezweckte
ebenfalls ein plötzlicher Besuch König Eduards von England in Paris
während der ersten Märztage. Der König wohnte in der Botschaft und
lud dorthin außer dem Präsidenten der Republik auch Delcassé cin. Der
König wollte damit den Franzosen, dem Deutschen Reiche und der ganzen
Welt zeigen, daß er die schroff gegen Deutschland gerichtete Politik Del-