Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oie beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 281 
  
  
mit dem einzigen Zwecke — wie die Chinesen sagen —, das Gesicht zu wab-- 
ren. Das ist aber nicht wahrscheinlich. Die deutsche Regierung konnte 
sich schon seit dem Herbste 1905 nicht im Zweifel darüber sein, daß ihre 
Stellung auf der Konferenz eine sehr schwierige sein würde, und seit Fürst 
Bülow den Konferenzgedanken angeregt und seine Annahme in Frank- 
reich durchgesetzt hatte, waren, wie ausgeführt worden ist, die Aussichten 
für Erreichung derjenigen Zwecke, welche Bülow durch die internationale 
Konferenz zu erreichen hoffte, auf ein Minimum zusammengeschwunden. 
Trotzdem ging Deutschland auf die Konferenz und erschwerte sich seine 
Stellung dort noch mehr durch den festen Entschluß, es unter keinen Um- 
ständen zum Kriege kommen zu lassen. Fragt man unter Berücksichtigung 
dieser und ihnen naheliegender Uberlegungen noch einmal, ob dem Fürsten 
Bülow die Geheimverträge bekannt gewesen seien, so möchte man es 
alö unwahrscheinlich bezeichnen, während die Möglichkeit auch für das 
Gegenteil bestebt. 
Die Konferenz begann, nahm ihren Verlauf, und nach einer Ver- 
bandlungsdauer von zweieinhalb Monaten unterzeichneten die Vertreter 
der Mächte ein umfangreiches Aktenstück, die Algecirasakte, deren Text 
mit den Worten: „Im Namen des allmächtigen Gottes“ begann und 
eine lange Reihe von Bestimmungen entdielt, welche zu nichtachten und 
zu umgehen Frankreich und Spanien unter voller Billigung Großbritan-- 
niens fest entschlossen waren. Das politische Zwischenspiel Marokko ist 
längst zu Ende, und der Inhalt der Algecirasakte ist ohne wesentliches 
Interesse. Oie deutschen Vertreter versuchten, den bekannten Standpunkt 
des Oeutschen Reiches zur Geltung zu bringen, um Garantien für dic 
Souveränität des Sultane, die Integrität seines Gebietes und die völlige 
Eleichheit des Handels in und mit Marokko festzulegen. Es gelang ihnen 
nicht. Deutschland sab sich auf der Konferenz bei jeder Frage, welche eine 
deutsch-französische Meinungeverschiedenheit bedingte, einer geschlossenen 
Mehrheit gegenüber, die sich unter Großbritanniens Führung um Frank- 
reich gruppierte. Diese Mehbrheit war entschlossen, die Konferenz scheitern 
zu lassen, sobald in einem wichtigen Punkte die deutsche Regierung un- 
nachgiebig auf ihrem Verlangen und Standpunkt geblieben wäre. Schei- 
tern der Konferenz würde für Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach 
den Krieg bedeutet haben. Frankreich hätte voraussichtlich dann gesagt, 
e5 werde nunmehr seine Interessen in Marokko allein schützen, und hätte 
dementsprechende weitere Schritte zur Tunifizierung Marokkos getan. 
Das würde das Deutsche Reich vor die Kriegsfrage gestellt haben, und 
zwar unter den Verhältnissen, wie sie oben skizziert worden sind. Dic 
großbritannische Regierung wäre anscheinend mit dem Scheitern der 
Konferenz und den daraus erwachsenden Folgen sehr einverstanden ge-
	        
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