Die beiden Konferenzen: Algeciras und Haag. 283
Marokkos noch Einhalt zu tun, wäre entschlossener Appell an das Schwert
gewesen.
Kurz nach Beendigung der Konferenz äußerte sich Fürst Bülow im
Reichstage folgendermaßen: „Es gab Wochen, wo der Gedanke an krie-
gerische Verwicklungen sich der Gemüter bemächtigte. Wie kam das?
Waren Lebensinteressen des deutschen Bolkes bedroht, so daß die Leitung
unserer auswärtigen Politik daran denken konnte, die Machtfrage auf-
zuwerfen? Sollten wir, wollten wir um Marokko Krieg führen? Nein,
meine Herren, um Marokko nicht. Wir haben in Marokko keine direkten
politischen Interessen, wir haben dort auch keine politischen Aspirationen.“
Oeutschland habe erreicht, was es erreichen wollte, nämlich die offene Tür
in Marokko und die Sicherheit der wirtschaftlichen Interessen. Auf dem
Papier der Algecirasakte, aber nur da, war das der Fall. Aber schon
damals stand für jeden nüchternen Beurteiler völlig außer Frage, daß
jene schönen Grundsätze auf dem Papier bleiben, sich auf das Papier
beschränken und für Frankreich wie Spanien lediglich als Schirm und
Kulisse dienen würden, um ihre Ziele in Marokko unter Mißachtung der
tatsächlichen Forderungen der Algecirasakte anzubahnen. Was Delcassé
gewollt hatte, war durch die deutsche Politik nicht vereitelt, sondern bin-
sichtlich seiner Durchführung nur zeitlich hinausgeschoben worden, ja,
die Konferenz von Allgeciras mit den sie begleitenden politischen Um-
ständen hatte der Delcasséschen Politik und ihrem Marokkoziele eine festere
Grundlage in Frankreich und in Europa gegeben, als sie vorher besaß.
Zetzt, nachdem durch den großen Krieg ein tiefer Einschnitt gemacht
und eine Periode ganz neuer Entwicklungen vorbereitet worden ist, kann
ohne Schaden gesagt werden, daß das Ergebnis der Konferenz von Alge-
ciras einen schweren politischen Mißerfolg des Deutschen Reiches bedeutete
und von weittragenden Folgen gewesen ist. Oer diplomatische deutsche
Erfolg, welchen der Rücktritt Delcassés bedeutete, war kurzzeitig und wurde
durch Algeciras restlos zum Berschwinden gebracht, ja, verkehrte sich in
das Gegenteil. Es ging nicht nur, wie Fürst Bülow sagte, „urm Marokko“,
sondern um weit mehr. Oer dringende Wunsch, den Frieden zu erhalten,
und der Glaube, es werde möglich sein, ihn noch lange zu erhalten, ver-
anlaßte die deutsche Regierung, den Fehler von Algeciras zu begehen:
eine politische Streitfrage aufzuwerfen, ohne den Willen, sie unter allen
Umständen „durchzubiegen“, die Möglichkeit einer wirklichen internatio-
nalen Erledigung anzunehmen, wo man von vornherein einer haßerfüllten
Mehrheit von Großmächten gegenüberstand. Fürst Bülow, der damalige
Kanzler und Träger jener Politik, hat sich in seinem genannten Buche
zurückhaltend, aber immerhin mit Genugtuung über die Ergebnisse der
Konferenz von Algeciras ausgelassen: nicht alles Erwünschte, aber das