Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

284 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905 1908. 
  
Wesentliche sei erreicht worden. Der Bersuch, uns von einer großen inter- 
nationalen Entscheidung auszuschließen, sei durchkreuzt worden. Den 
letzten Satz kann man als richtig zugeben, den ersten nicht. Gerade das 
Wesentliche war nicht erreicht worden. Das Wesentliche der Marokko- 
frage für Deutschland waren die drei bekannten Punkte: Souveränität des 
Sultans, Integrität des marokkanischen Gebietes und Freiheit des Han- 
dels ohne jede Ungleichheit, also die offene Tür. Die Verhandlungen 
der Konferenz zeigten klar, daß Frankreich, unterstützt von England, Ruß- 
land und den genannten anderen Mächten, in allen den Punkten unbeug- 
samen Widerstand leistete, wo Deutschland internationale Regelungen 
forderte, welche die Unabhängigkeit des Sultans usw. usw. tatsächlich garan- 
tieren konnten. Gab die deutsche Politik hier nach, wie sie es tat, so ist 
wohl, ebensowenig wie einem großen Teile der damaligen deutschen Offent- 
lichkeit, so auch den deutschen Staatsmännern und Diplomaten schon vor 
Schluß der Konferenz zweifelhaft gewesen, daß die Verhandlungen und 
der Abschluß zu Algeciras für Frankreich, wie gesagt, eine Kulisse wurden 
und für die deutsche Politik die dürftige Verschleierung des Mißerfolges. 
Damit soll keineswegs geleugnet werden, daß die Behandlung der Frage 
für Deutschland von vornherein eine sehr schwierige war und eine erfolg- 
reiche Behandlung sich ausschließen mußte, wollte man es unter keinen 
Umständen zum Kriege kommen lassen. Das war der Fall und die zwin- 
gende Folge, daß die Träger der deutschen Politik niemals eine Frage 
aufkommen und sich verschärfen ließen, welche an sich zur nationalen 
Frage werden konnte. Aus diesem Grunde gab man zu Algeciras eine 
Position nach der anderen auf. Delcassé war abgetreten, aber Delcassés 
Geist berrschte in den Berhandlungen von Algeciras und siegte. 
Zur politischen Pspchologie jener Periode dient die Tatsache, daß 
nach dem Sturze DOelcassés vielfach in politischen Kreisen Deutschlands 
die Auffassung berrschte, nun sei die Entente Cordiale gesprengt worden 
und einer deutsch-französischen Einigung mit einem sich daraus ergebenden 
Bündnisse der Weg geebnet worden. Manche Anzeichen lassen darauf 
schließen, daß auch dem Fürsten Bülow derartige Erwägungen nicht ganz 
fern gelegen haben. Der Gedanke war offenbar, daß Frankreich sich wegen 
der Schwächung Rußlands beinahe isoliert und hoffnungslos schwach 
füblen sollte. Diese Rechnung trug zwei Fehler in sich: sie ließ den alten 
unversöhnlichen französischen Haß und Nachedurst außer acht und ver- 
kannte außerdem die innere Grundlage und den eigentlichen Zweck der 
Entente Cordiale. Diese Grundlage und dieser Zweck lagen nicht in Ma- 
rokko und dessen Zukunft, sondern in der europäischen Politik der Groß- 
mächte. Großbritannien, insbesondere König Eduard und seine Minister, 
unterstützt von beinahe der gesamten Presse beider politischen Parteien,
	        
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