Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die beiden Konferenzen: Algeciras und Baug. 285 
  
hatten erkannt, daß Großbritannien für seinen Einfluß auf die Festland- 
angelegenheiten und als verfügbares Gegengewicht gegen die immer 
größer werdende Macht des Deutschen Reiches und Bolkes einer bündnie- 
artigen Bereinigung mit Frankreich bedürfe. Diesem Grunde und diesem 
Zwecke wurden, wie immer in solchen Fällen, von der großbritannischen 
Politik unbedenklich alle Opfer gebracht. Man erfüllte Frankreichs Wün- 
sche hinsichtlich Marokkos für die Gegenwart und unterzog sich den bin- 
dendsten Verpflichtungen für die Zukunft. König Eduard, die Minister 
und die Presse ließen keine Gelegenheit unbenutzt, um Haß und Rück- 
sichtelosigkeit gegen Deutschland öffentlich zu zeigen und anderseits aus- 
zusprechen, daß das mächtige Großbritannien die Freundschaft Frank- 
reichs allem anderen vorzöge. Das einzige, was die britische Politik ver- 
langte und was König Eduard verschiedentlich geltend gemacht hat, war: 
Stärkung der französischen Wehrkraft zu Wasser und zu Lande. Daß die 
französische Regierung und das französische Volk diese ihnen so auesichts- 
reich erscheinende Beziehung einer erzwungenen und allen Uberlieferungen 
ins Gesicht schlagenden Verbindung mit dem Deutschen Reiche vorzogen, 
war, vom französischen Standpunkte gesehen, damals selbstverständlich 
und muß es auch für den rückschauenden Beurteiler sein. 
Zwischen Tanger und Allgeciras ist in Großbritannien ernstlich daran 
gedacht worden, im Sinne jener Rede des Zidillords der Admiralität, 
Arthur Lee, den ersten Schlag zu tun, d. h. die deutsche Flotte, die deutschen 
Küsten und Häfen zu überfallen. Weshalb nichts aus diesem Plane ge- 
worden ist, steht nicht fest. Wahrscheinlich war die nötige Ubereinstimmung 
unter den leitenden Männern nicht vorhanden. König Eduard hat seinem 
Wesen nach, und wie seine gesamte Politik zeigte, stets weniger Nei- 
gung zu gewaltsamen Lösungen als für eine unblutige, durch die Dro- 
hung mit dem Kriege wirkende Politik der Umklammerung Deutschlands 
gehabt; wenn er anderseits sicher auch nicht gezögert hätte, gegebenen- 
fallo das Signal zum Kampfe zu geben. 
Mit der Konferenz von Algeciras hatte die großbritannische Politik 
mehrere große Erfolge erreicht: sie hatte Frankreich von der Zuverlässig- 
keit des neuen großbritannischen Freundes restlos überzeugt, die groß- 
britannischen Staatsmänner hatten einen beinahe unbegrenzten Einfluß 
auf die Politik Frankreichs, auch auf dessen Rüstungspolitik gewonnen. 
Ferner hatte die Konferenz Großbritannien Gelegenbeit gegeben, seinen 
beherrschenden Einfluß auf die Haltung beinahe aller europäischen Mächte 
zu zeigen und der Welt des Islams vor Augen zu führen, daß Großbritau- 
niens Wille und Macht stärker sei als derjenige Deutschlande. In Lon- 
don hatte man die bekannten Worte Kaiser Wilhelms zu Damaskus im 
JFabre 1898 nicht vergessen: „Mögen die dreihundert Millionen Moham---
	        
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