Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

288 . Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
Folgen sich ergeben hatte, bedeutete eine in der Geschichte Großbritan- 
niens, ja in der Europas, epochemachende Wendung. Sie konnte nicht 
durch einen Kabinetts- oder Ministerwechsel aus der Welt geschafft wer- 
den. Wurde sie aber nicht aus der Welt geschafft, so mußte sie weiter 
wirken auf der ihr vorgezeichneten Bahn, ganz einerlei, ob der eine oder 
andere großbritannische Minister vielleicht etwas minder entschlossen war 
oder minder scharf und feindselig über Deutschland dachte. Campbell- 
Bannerman war kein großer Staatomann und trug in manchem seiner 
Züge eine gewisse liberale Unbestimmtheit. Dabei war er aber gewisser- 
maßen a priori erfüllt von dem Gefühle unbedingten Rechtes Großbri- 
tanniens zur Herrschaft über alle anderen Bölker. Konnte diese unter 
freundschaftlichen versöhnlichen Formen ausgeübt werden, so war ihm 
das lieber. Oie öffentliche Meinung in Großbritannien, die übrigen maß- 
gebenden Kabinettsmitglieder und vor allem König Eduard teilten die 
Vorliebe des Premierministers für einen freundschaftlichen Verkehrston 
mit Deutschland keineswegs, und die Folge war, daß Campbell-Banner- 
man in den kurzen Jahren seiner Amtsführung (1906—1908) politisch 
nur eine bescheidene Rolle spielen konnte, soweit es die auswärtige Politik 
betraf. König Eduard, sein ständiger Unterstaatssekretär Lord Hardinge, 
Sir Edward Grey usw. wußten ihren Kurs und steuerten ihn mit eben- 
soviel Uberlegung wie Festigkeit. In einem nicht unerheblichen Teile 
der großbritannischen Offentlichkeit dagegen hatte die Schärfe der deutsch- 
britischen Marokkospannung einige Besorgnisse erregt, und die oben er- 
wähnten Bereinigungen, Besuche und Reisen zu einem besseren gegen- 
seitigen Verstehen der beiden Länder waren eine Folge der Besorgnis, 
die Verstimmung könne unheilbar werden und dann bei nächstem ge- 
gebenen Anlasse zum Kriege führen. Diese auf beiden Seiten ehrlich 
gemeinten Bemühungen litten ebenso wie die optimistischen Hoffnungen 
der amtlichen Stellen zu Berlin auf das neue Londoner Kabinett an dem 
Fehlen der Erkenntnis, daß seit 1904 das Deutsche Reich genau im selben 
Sinne „der Feind“ Großbritanniens war, wie im Laufe der verflossenen 
Zahrhunderte hintereinander Spanien, die Niederlande, Frankreich und 
Rußland. Die Geschichte Großbritanniens lehrt, daß die britische Politik 
von dem Augenblicke an, wo ein solcher Feind bezeichnet worden ist, ge- 
duldig, zäh und entschlossen mit allen Mitteln und auf allen Wegen alles 
tut, um diesen Feind mit Hilfe von Festlandmächten wenn möglich ein- 
zuschränken und zu demütigen, sonst zu vernichten. Das wirtschaftliche 
Wachstum des Deutschen Reiches und Volkes, seine auf dem Festlande 
selbsttätig immer größer werdende Stellung durch Bevölkerungsvermeh- 
rung und Reichtum, sein Seehandel, seine Industrie, kurz alle jene bekann- 
ten Faktoren und dazu die Versuche, dem Deutschen Reiche mit der Zeit
	        
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