Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

300 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905—1908. 
  
das Oeutsche Reich baue seine Flotte, um Großbritannien anzugreifen. 
Diese Agitation, von der später noch zu reden sein wird, hat bei denen, die 
sie erfanden und betrieben, niemals auf aufrichtigem Glauben an solche 
deutschen Pläne beruht. Man wollte aber die eigene Bevölkerung und außer- 
dem die kleineren Staaten Europas daran glauben machen. Die Legende 
vom angriffslustigen Deutschland sollte auch nach dieser Seite hin auf- 
rechterhalten und ergänzt werden. Dabei war keinem Fachmann, keinem 
Politiker, ja keinem unparteiischen Beurteiler überhaupt auch nur einen 
Augenblick unklar, daß das Deutsche Reich niemals die mindeste Aussicht 
habe, auch bei stärkster Anspannung des Flottenbaues Großbritannien 
angreifen zu können. Ebenso klar lag anderseits auf der Hand, daß Deutsch- 
land mit der Lage seiner Häfen und Küsten, mit seinem großen Ubersee- 
handel und seinen Kolonien einem englischen Angriffe annähernd schutz- 
los gegenüberstand. 
Aus diesen Gründen und in Erinnerung ebensowohl an die Delcassé- 
schen Enthüllungen, wie an die entschlossen deutschgegnerische britische 
Politik der letzten Jahre erregte die englische Zumutung einer Einschrän- 
kung der Seerüstungen großes Befremden in Oeutschland. Schon die Zu- 
mutung der großbritannischen Regierung hatte etwas von einem Druck 
an sich, mochte noch so oft gerade dieser Charakter von der britischen Re- 
gierung in Abrede gestellt werden und mochte auch noch so oft Mr. Camp- 
bell-Bannerman bieder und wohlwollend erklären: Großbritannien 
wünsche lediglich Frieden und Freundschaft überall, Erleichterung der 
Rüstungslasten und auf diese Weise erhöhte Sicherung des Weltfriedens. 
In Deutschland erkannte man in weiten Kreisen der Bevölkerung, daß 
das englische Manöver nur darauf abzielte, die Ohnmacht der deutschen 
Flotte dauernd festzulegen, und in der internationalen Konferenz das ge- 
eignete Mittel zur Erreichung dieses Zweckes zu erblicken glaubte. Die 
englische Anregung einer Erörterung der Rüstungsfrage auf der Kon- 
ferenz ließ in Deutschland das Bild der Mächtegruppierung zu Algeciras 
erstehen und den begründeten Verdacht, Großbritannien wolle diese 
latent dauernd vorhandene Gruppierung benutzen, um das Deutsche Reich 
munmehr im Haag zu majorisieren, wie vorher zu Algeciras. Anderseits 
stand von vornherein fest und war naturgemäß auch zu London genau 
bekannt, daß das Oeutsche Reich sich in den Lebensfragen der Rüstung 
keinen internationalen Beschlüssen unterwerfen werde. Für diesen Fall 
der Ablehnung solcher Abrüstungsanträge, vielleicht überhaupt des Schei- 
terns der Konferenz würde das allgemeine Odium auf das Deutsche Reich 
und dessen Politik von Großbritannien und Genossen fallen. Man hätte 
gesagt, daß alle anderen Mächte bereit gewesen seien, dem Weltfrieden 
den Dienst einer Rüstungseinschränkung mindestens zur See zu leisten, —
	        
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