Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

302 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908. 
gramm für die Haager Konferenz gewonnen hätte. Auch ein bestimmter 
Borschlag sei noch nicht gemacht worden, nur hätten sich die britische Re- 
gierung, ferner die spanische und die der Bereinigten Staaten vorbehalten, 
diese Frage im Haag zur Erörterung zu bringen. Man sei sich schon auf der 
ersten Haager Konferenz darüber einig geworden, daß die Regierungen 
die Frage einer Einschränkung der Rüstungen zu prüfen hätten. Oessen- 
ungeachtet seien inzwischen greifbare Vorschläge nicht gemacht worden. 
„Solange aber nicht einmal eine sichere Hoffnung auf eine befriedigende 
Lösung dieser Frage und auf die Möglichkeit ihrer praktischen Durchfüh- 
rung besteht, vermag ich mir auch von einer Erörterung auf einer Kon- 
ferenz nichts zu versprechen. Es liegt im Gegenteil die Gefahr vor, daß 
durch die Berührung jener widerstreitenden Interessen eine zweckwidrige 
Wirkung einträte. ch kaum nicht bestreiten, daß schon die Aussicht auf eine 
Behandlung dieser Frage auf der Konferenz keine beruhigende Wirkung 
auf die internationale Lage ausgeübt hat.“ Der Reichskanzler erörterte 
die Frage: ob es nicht, „um kriegerischen Schein zu vermeiden“, richtiger 
gewesen sei, sich an der Diekussion im Haag wenigstens zu beteiligen; er 
glaube aber, daß man auf diese Weise keinen besseren Schutz gegen unge- 
rechte Verdächtigungen unserer Friedensliebe und keine aufrichtigere An- 
erkennung der deutschen Schutz- und Wehrbedürfnisse erreicht haben würde. 
„Dazu haben wir schon viel zu tendenziöse Berdächtigungen unserer fried- 
lichen Absichten erlebt.“ Es sei dem Kanzler richtiger, klüger und auch 
würdiger erschienen, offen zu sagen: „An einer, nach unserer Uberzeugung, 
wenn nicht bedenklichen, so doch unpraktischen Diskussion können wir ungs 
nicht beteiligen.“ 
Der Reichstag stimmte dem Standpunkte des Kanzlers einschließlich 
des äußersten Flügels der bürgerlichen Linken ungeteilt zu. Uberhaupt 
waren sich Regierung und Volksomeinung, abgesehen von der Sozial- 
demokratie, einig. Es handelte sich nicht um Flottenfanatismus, um Mili- 
tarismus und Chauvinismus, sondern um das bestimmte und drängende 
Gefühl: Deutschland müsse die großen Lücken seiner Wehrkraft unbeirrt 
und unbedingt ausfüllen. Man erblickte in jedem Eingehen auf den eng- 
lischen Borschlag eine nationale Capitis diminutio, das Aufgeben der na- 
tionalen Selbständigkeit und derjenigen Freiheit der Entschlüsse, welche 
das Kennzeichen einer unabhängigen, unbesiegten Großmacht bildet. Man 
täuschte sich nicht darüber, daß das britische Ansinnen das Ende des deut- 
schen Strebens nach Seegeltung und die Errichtung einer internationalen, 
britisch geleiteten Bevormundung der deutschen Rüstungspolitik bedeuten 
sollte. Man konnte sich trotz der bieder-versöhnlichen Sprechweise des bri- 
tischen Premierministers der Erkenntnis nicht entschlagen, daß die groß- 
britannische Politik der letzten Jahre in Europa und an allen Punkten der
	        
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