Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

314 3. Abschnitt. Bor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
lich gewesen sei, daß Rußland sich, anstatt mit dem bewährten Freunde 
Deutschland zusammenzuhalten, dem traditionellen Gegner aller ruf- 
sischen Bestrebungen angeschlossen habe. 
Großbritannien hatte, ohne einen Mann und ohne ein Schiff zu ris- 
kieren, einen Krieg gegen Rußland gewonnen. Japan hatte ihn ausge- 
fochten. Der Krieg war im russischen Bolke von Anfang bis zu Ende nicht 
populär gewesen, und daher kam es, zum Teil wenigstens, daß eigentlich 
nicht, wie es sonst zu erwarten gewesen wäre, tiefe Erbitterung in Ruß- 
land gegen Großbritannien vorhanden war. Za selbst gegen Japan be- 
stand eine solche Erbitterung nach dem Kriege nur in sehr kleinen russischen 
Kreisen. Mit der Expansionspolitik im fernen Osten war es für Rußland 
vorläufig zu Ende. Zn eben diesen Expansionsbestrebungen hatten in erster 
Linie die Gegensätze zu Großbritannien sich begründet. Nun kam die groß- 
britannische Politik, machte Rußland durch das Abkommen von 1907 große 
Zugeständnisse in Mittelasien, hauptsächlich aber in Bersien und — was 
freilich nicht im Abkommen geschrieben stand — bot dem Russischen Reiche 
eine gemeinsame Balkan- und Orientpolitik an. Was die asiatischen Grenz- 
abkommen anlangte, so konnte es den Leitern des Russischen Reiches da- 
mals nur erwünscht sein, daß jene Reibungoflächen mit Großbritannien 
bis auf weiteres verschwänden. Das Abkommen über Persien endlich be- 
deutete einen sehr erheblichen Verzicht Großbritanniens zu Rußlands 
Gunsten, denn man überließ das vorher scharf umstrittene dicht bevölkerte 
und städtereiche Nordpersien an Rußland und befreite Rußland damit 
gleichzeitig von wirtschaftlichem Wettbewerbe dritter Mächte eben in Nord- 
persien. Das Abkommen war mithin für Rußland nicht nur im allge- 
meinen vorteilhaft, sondern bot sofortige greifbare und abschätzbare Vor- 
teile. Das ließ sich nicht bestreiten. GSenau umgekehrt war es auf der groß- 
britannischen Seite: als man im Unterhause Sir Edward Grey gegen- 
über in scharf tadelnder Kritik hervorbob, Großbritannien habe in dem 
Abkommen mit Rußland schlechte Geschäfte gemacht, erklärte Grey: das 
wäre, im einzelnen betrachtet, vielleicht möglich, aber seiner Ansicht nach 
sei die Hauptsache, daß die alten englisch-russischen Reibungen ein für 
allemal aus der Welt geschafft worden seien, und er glaube sich des Bei- 
fallo des Hauses darin sicher, daß die vertrauensvolle Freundschaft des 
großen Russischen Reiches, damit die Ubereinstimmung in den mittel- 
asiatischen und in der persischen Frage und darin eingeschlossen die Sicher- 
heit Indiens ungleich mehr wert seien als vielleicht kleine wirtschaftliche 
Nachteile und Zugeständnisse in den Grenzverträgen. DOiese Zugeständ- 
nisse habe man eben gemacht, um die russische Freundschaft zu gewinnen. — 
Mit andern Worten war das Abkommen von 1907 und seine Grundlage 
für die großbritannische Politik keine lokale Interessenfrage im Sinne des
	        
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