Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oas russisch-beitische Abkommen und andere Abkommen. 315 
  
Wortes, sondern in erster Linie ein Mittel zum großen Endzwecke der Fsolie- 
rung des Deutschen Reiches, deren Zweck wieder war, sei es durch Ein- 
schüchterung, sei es durch einen großen Koalitionskrieg, Deutschland nach dem 
Willen Englands zu zwingen und zu erniedrigen. Die politisch denkende 
Mehrheit des großbritannischen Volkes hat sich denn auch im Laufe der 
folgenden sieben Fahre, abgesehen von gelegentlicher Kritik der angedeu- 
teten Art, den Standpunkt Grepys zu eigen gemacht: ein enges und sicheres 
Verhältnis mit Rußland bedeutete einen so ungeheuren Vorteil für Groß- 
britannien, hauptsächlich in dessen antideutscher Politik, daß einzelne wirt- 
schaftliche und lokale Nachteile des Abkommens von 1907 nicht in Betracht 
kämen. 
Neben den Vorteilen hinsichtlich der Abgrenzungen in Mittelasien 
und Persien bot Großbritannien dem neuen russischen Freunde eine neue 
und in russischen Augen überaus fruchtbare Aussicht: die Aussicht auf eine 
tatkräftige Orientpolitik in Berbindung und im Einverständnisse mit Groß- 
britanniens Politik. Das war etwas ganz Neues. Biöher waren Rußland 
und Großbritannien gerade im Orient, geschichtlich überliefert, Gegner 
gewesen, politisch wie wirtschaftlich. Wenn damals 1900/07 eine derartige 
Schwenkung der großbritannischen Orientmethoden und Orientziele ein- 
trat, so hatte das seine schwerwiegenden Gründe. Diese Gründe lagen nicht 
auf dem Gebiete eines selbstlosen Entgegenkommens Rußland gegen- 
über, waren vielmehr zu suchen in der deutschen Orientpolitik und in der 
Stellung Osterreich-Ungarns auf der Balkanhalbinsel. 
Die deutsche Orientpolitik war im Bereine mit der österreichisch- 
ungarischen seit vielen Jahren die einzige in Europa, welche mit voller 
Aufrichtigkeit eine Stärkung der Türkei anzustreben versuchte, eine Stär- 
kung in jeder Beziehung, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Die Er- 
kenntnis dieser Aufrichtigkeit und ihrer Zuverlässigkeit hatten den Sultan 
Abdul Hamid veranlaßt, einer deutschen Gesellschaft die Konzession für 
den Bau der sogenannten Bagdadbahn zu geben. Die Geschichte dieser 
Bahn wird weiter unten besprochen werden. Großbritannien hatte sich 
nach kurzen Schwankungen der Bollendung des deutschen Bahnbaues 
ablehnend und ihn bekämpfend gegenübergestellt und brachte alle denk- 
baren Mittel in Anwendung, um ihn und überhaupt die wirtschaft- 
liche Ausdehnung Deutschlands und seines Handels im Orient zu ver- 
hindern. In London erkannte man mit gewohntem Scharfblicke, daß 
die europäischen Zentralmächte, besonders das Oeutsche Reich und die 
Türkei, sich gegenseitig immer mehr aufeinander angewiesen saben. Schon 
damals war der Weg Berlin—MKonstantinopel die Richtung, um der Ein- 
kreisung Deutschlands durch die Mächte unter Führung Großbritanniens 
erfolgreich zu begegnen, eine Bresche in sie zu schlagen. Die britischen
	        
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