Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Das russisch-britische Abkommen und andere Abkommen. 323 
  
weder den Minister noch die französischen Beamten in Marokko, noch die 
dortigen militärischen Befehlehaber und ihre Truppen, das Gegenteil 
von dem zu tun, was durch den Mund des Ministers oder Ministerpräsi- 
denten feierlich versprochen wurde. Erhob dann die deutsche Regierung, sei 
es direkt, sei es durch den Mund ihres Pariser Botschafters, wie wohl in 
den Fällen von Adschda und Casablanca, Vorstellungen oder tat Fragen, 
so versicherten Herr Pichon und seine Organe: selbstverständlich denke man 
an keine Verletzung der Algecirasakte, wolle auch die Stadt Udschda wieder 
räumen, aber Frankreiche Sonderstellung als algerische Nachbarmacht 
Marokkos sei nun doch einmal international anerkannt worden, und schließ- 
lich sei es doch nicht zu verlangen, daß man sich die Ermordung franzö- 
sischer Staatsangehöriger ruhig gefallen lasse. Davon stehe in der Alge- 
cirasate nichts Die deutsche Regierung ließ das hingehen, ebenso den 
ganz unerhörten Vorfall von Casablanca, und Fürst Bülow selbst sanktio- 
nierte damals den Begriff von Handlungen, die „außerhalb des Rahmens 
der Akte von Algeciras“ fielen. Damit und überhaupt mit der Duldung 
dieser beiden ersten flagranten Fälle hatte die deutsche Marokkopolitik sich 
auf eine schiefe Ebene begeben und es wäre ihr danach in der Folge, selbst 
wenn sie ernstlicher gewollt hätte als sie wollte, schwer geworden, auf 
dieser schiefen Ebene haltzumachen. 
Oie französische Politik arbeitete in Marokko nach den bewährten und 
bekannten Methoden, wie sie die alten großen Kolonialmächte stets an- 
gewendet haben, um ein Gebiet allmählich zu unterwerfen. Frankreich 
hatte zu Algeciras sich eine Sonderstellung als Nachbarmacht Marokkos be- 
glaubigen lassen, und die Lösung der sogenannten Polizeifrage lag ebenfalls 
in Frankreichs Händen, da Spanien sich französischen Wünschen wie Uber- 
griffen fügen mußte. Annähernd jedes Vorgehen in Marokko, dessen die 
Franzosen damals bedurften, konnten sie entweder mit der Stellung als 
Nachbarmacht oder mit Erfordernissen der Polizeiorganisation rechtfer- 
tigen. Dazu kam, daß durch die lebhafte und willkürliche Tätigkeit der Fran- 
zosen in Marokko die marokkanischen Stämme und Stadtbewohner steigend 
gereizt wurden und sich durch ihren wohlbegründeten Haß immer häufiger 
zu Gewalttätigkeiten hinreißen ließen, die allerdings beinahe ausnahms- 
los im Grunde berechtigte Selbstverteidigung darstellten. Daraus ergaben 
sich dann wieder Akte französischer Selbsthilfe. Die deutsche Regierung 
sah diese als berechtigt und ebenso als außerhalb des Rahmens der Algeciras- 
akte stehend an. So kam es, daß schon im Jahre 1907, ein Jahr nach 
Abschluß der Algeciraskonferenz, die Akte für Frankreich den Wert einer 
Kulisse glänzend erwiesen hatte, während die deutsche Regierung sich gefallen 
lassen zu müssen glaubte, was in Marokko geschab. Der einzige Weg, aus 
diesem Circulus vitiosus hinauszugelangen, wäre für das Oeutsche Reich 
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