324 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1903—1908.
gewesen, energischen Einspruch zu erheben und diesen Einspruch auf alle
Konsequenzen hin zu vertreten. Das widersprach aber, wie wir in der Be-
handlung der Marokkofrage von Anfang an gesehen haben, der Richtschnur,
welche die Leiter der deutschen Politik sich gezogen hatten. Man hat an-
scheinend in Berlin gehofft, die Algecirasakte werde wenigstens cinige
Zahre lang Frankreich veranlassen, die Bestimmungen innezuhalten. Man
hat ferner wohl gedacht: auf dem Boden der Akte von Algeciras würde ein
deutsch-französischer Ausgleich und eine tatsächliche europäische Entspan-
nung erfolgen können; ferner würden die übrigen Mächte, große und kleine,
begreifen, daß das Deutsche Reich ihrer aller wirtschaftliche Interessen ver-
treten und gesichert habe, als es die internationale Garantie für die Er-
haltung der offenen Tür in Marokko erreichte. Das Gegenteil von alle-
dem trat ein: die Spannung nahm nicht ab, die englische Hetze gegen Deutsch-
land wurde in immer größerem Maßstabe und immer strupelloser in den
Mitteln betrieben. Frankreich war ferner denn je vom Wunsche nach guten
Beziehungen zu Oeutschland, und die übrigen Mächte hatten teils kein
Interesse an den marokkanischen Oingen, teils waren sie, wie Italien und
Spanien, durch Entschädigungen abgefunden. In Frankreich war nach dem
Siege von Algeciras und im Gefühle der Sicherbeit und Stärke nach
Schließung der Militärkonvention mit Großbritannien, sowie im Zeichen
der britisch-russischen Berständigung die Zuversicht und damit der offene
Haß gegen Deutschland schon so sehr gestiegen, daß die französische Presse
folgenden Borschlag im Einverständnis mit der Regierung zu machen
wagte: Wenn das Oeutsche Reich Wert auf ein Abkommen mit Frank-
reich lege, so sei das nur auf der Grundlage möglich: von seiten
Frankreichs Zugeständnisse für die Bagdadbahn, von deutscher Seite
Zustimmung zu der durch den Vertrag von 1904 festgelegten Marokko-
politik. Die deutsche halboffiziöse Presse lehnte dies Anerbieten milde
ab und betonte im besonderen: die Bagdadbahn sei eine türkische
Angelegenheit, schließlich denke man in Deutschland nicht daran, die
Sonderstellung Frankreichs in Marokko in Abrede zu stellen. Es ent-
zieht sich dem Beweise, ob die deutsche Politik von damals nicht sah
oder nicht sehen wollte, was diese französischen Methoden bezweckten.
Man war bei der Entente Cordiale fest überzeugt, Deutschland werde
keinen Krieg führen, und wandte deohalb alle Mittel des Oruckes und
des Reizens oder der Umgehung und Erschleichung an, um die deutsche
Regierung zu veranlassen, daß sie alle französischen Ubertretungen der
Algecirasakte dulde.
Die Ausbreitung der französischen Truppenstellungen in Marokko
vollzog sich, wie der spätere Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, von
Kiderlen-Waechter, sagte, nach Art des Oltropfen“ auf der Wasserfläche, der