Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Das russisch-britische Ablommen und andere Abkommen. 327 
  
bei Eintritt künftiger Konflikte gesprochen. Mr. Clémenceau, damals 
Ministerpräsident, wurde 1907 im Parlamente gefragt, ob Frankreich 
von Großbritannien einen gewährleisteten Beistand zu erwarten hätte. 
Clémenceau antwortete unter allgemeiner Heiterkeit: „Ich weiß es nicht, 
aber ich glaube es nicht.“ — Der Ministerpräsident gehörte zu den Wenigen, 
die ganz genau orientiert waren, und so mußte seine Antwort als Fronie auf 
die amtliche Diskretion angesehen werden, was auch in ganz Europa geschah. 
Während so das politische Feld in Südeuropa durch die Entente 
Cordiale beherrscht wurde, und Spanien wie Italien und Griechenland 
sich unter ihrer Leitung zusammengefunden hatten, tat die gleiche Entente 
Cordiale ihr Mögliches, um die neutralen Mächte Nordeuropas mit Miß- 
trauen gegen das Deutsche Reich zu erfüllen. 
Die erwähnten Vorgänge aus dem Krisenjahre 1905 binterließen 
ihre Spuren und rückten allen diesen Mächten die Frage nahe, wie sie 
sich in einem europäischen Kriege zu verhalten haben würden. Wie 
wir gesehen haben, war Belgien der Entente Cordiale Großbritannien 
und Frankreich bereite sicher. Anders stand es mit den Niederlanden. 
Auch hier freilich war durch die englischen und französischen Bemühungen 
ein starkes Mißtrauen gegen Oeutschland entstanden. ANicht nur schenkte 
man den alten Auostreuungen von deutschen Ausdehnungs- und An- 
nexionsabsichten Glauben, sondern man fürchtete, daß im Falle eines 
europäischen Krieges Deutschland die holländische Neutralität verletzen 
werde. In den Niederlanden lief das Gerücht um: Kaiser Wilhelm habe 
in den Zeiten der Marokkospannung von 1904/05 der Königin Wilhelmina 
geschrieben: Wenn die MNiederlande nicht sofort die Verteidigung ihrer 
Flußmündungen und Küsten auf die Höhe und in Bereitschaft brächten, 
so würde er sich zu seinem Bedauern genötigt seben, die Regierung der 
Niderlande vor ein Ultimatum zu stellen. Diese Geschichte, welche von 
holländischen Diplomaten erzählt sein sollte, wurde in der britischen, 
französischen und belgischen Presse mit alarmierenden Kommentaren aus- 
genutzt, erregte großes europäisches Aussehen und hat jabrelang nachher 
ihr Wesen getrieben auch in der niederländischen Kammer. Sie ist jedes- 
mal von dem betreffenden Regierungevertreter in bündiger und erschöp- 
fender Form in das Gebiet der Fabel verwiesen worden. Hätte die Ge- 
schichte aber selbst einen Kern von Wahrheit enthalten, so würde man dem 
Deutschen Kaiser oder der deutschen Regierung schwerlich einen Borwurf 
haben machen können, denn jenes angebliche Verlangen hinsichtlich der 
niederländischen Küstenbefestigungen hätte lediglich auf der Befürchtung 
beruht, daß großbritannische Kriegsschiffe oder Proviant- und Truppen- 
tranoporte in die Schelde einliefen, oder aber daß Landungen einer bri- 
tischen Expeditionsarmee an den Küsten oder auf Küsteninseln der Nieder-
	        
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