Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

328 5. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 1905—1908. 
  
lande versucht würden. In diesem Falle hätte Deutschland aus Gründen 
der eigenen Sicherheit vorgehen müssen, falls die Nederlande nicht allein 
der Eindringlinge Herr werden konnten. Eine vorherige Warnung wäre 
mithin in der Tat naheliegend, außerdem ein Zeichen von Freundschaft 
und Vertrauen, keineswegs der gegenteiligen Gesinnung gewesen, über- 
dies durch die tatsächlichen Verhältnisse durchaus gerechtfertigt. Ander- 
seits lag nahe genug, daß bei der urteilslosen Menge der ohnehin zum Miß- 
trauen geneigten Niederländer die Geschichte böses Blut stiftete. Eine andere 
Frage freilich wäre gewesen, ob eine deutsche Aufforderung jener Art 
an die Niederlande in zwölfter Stunde vor dem Ausbruche eines Krieges 
einen praktischen Zweck gehabt hätte, d. h. ob es den Niederlanden mög- 
lich gewesen wäre, innerhalb so kurzer Zeit ihre Befestigungen in die nötige 
Verfassung zu setzen. Das konnte man wohl bezweifeln, und darin wieder-- 
um liegt eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß jene Geschichte, zum 
mindesten in der verbreiteten Form, nicht wahr gewesen ist. Im übrigen 
war damals wie später die niederländische Regierung ebensowohl wie das 
ganze Volk der Holländer von dem Willen einer wahrhaft aufrichtigen 
Neutralität durchdrungen. Man war gleich weit davon entfernt, auf die 
deutsche Seite zu treten wie auf die französische oder die englische. Man 
war lediglich entschlossen, im Falle der Notwendigkeit die eigene Neutrali- 
tät mit allen Mitteln zu verteidigen. Es lag aber nahe genug, daß die 
Ausstreuungen der Gegner Oeutschlands einerseits, die gewaltige Stärke 
Deutschlands anderseits ein Gefühl wenn nicht der Angst so doch der Un- 
ruhe und Unbehaglichkeit erwachsen und weiterbestehen machten, beständig 
geschürt durch englische und französische Hetzarbeit, welche bezweckte, die 
Nl#derlande in das Lager der Entente Cordiale zu ziehen, womöglich 
ein Abkommen oder Bündnis zwischen den ANiederlanden und Belgien 
zustande zu bringen. 
Das Deutsche Reich, dessen Regierung sich dieser gefährlichen Trei- 
bereien und ihrer möglichen politischen Wirkungen wohl bewußt war, 
regte im Jahre 1907 ein Abkommen an, das im Frühling 1908 zur Unter- 
zeichnung gelangte. Die Unterzeichnerstaaten waren: das Deutsche Reich, 
Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden. 
Der Inhalt war im großen der folgende: 
Unter den Versicherungen guter Nachbarschaft und Freundschaft 
erklärten die Unterzeichnermächte, daß sie fest entschlossen seien, wechsel- 
seitig die souveränen Rechte intakt zu halten und zu achten, welche jede 
von ihnen über ihre bezüglichen Gebiete in jenen Gegenden, also auch an 
den Küsten und auf den Inseln, besäße. Für den Fall der Bedrohung 
des Status quo nach Ansicht einer der Unterzeichnermächte durch irgend- 
welche Ereignisse wollte man miteinander in Verbindung treten, um in
	        
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