Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Das russisch-britische Abkommen und andere Abkommen. 329 
  
gemeinsamer Ubereinstimmung Maßnahmen für die Erhaltung des Status 
quo zu treffen. — In einem Anhange des Abkommens wird dasselbe 
dabin präzisiert: der Grundsatz der Erhaltung des Status quo bezieht sich 
lediglich auf die zurzeit vorhandenen Gebietsteile der Vertragsmächte, 
welche an die Nordsee grenzen. Dagegen kann dieses Abkommen nicht 
angerufen werden, wenn eine der Vertragsmächte auf Grund ihrer Sou- 
veränität frei über ihre Besitzungen verfügt. 
Das bedeutete mit anderen Worten, daß das Abkommen sich nicht 
auf den Kolonialbesitz der Mächte bezog und ebensowenig auf ihr Gebiet, 
sofern es nicht an die Küsten grenzte. Es handelte sich mithin nicht um 
einen allgemeinen und vollständigen Garantievertrag hbinsichtlich der 
Integrität und Unabhängigkeit des Gebietes, sondern lediglich um Küsten 
und Inseln. Das Beräußerungsrecht oder das Recht der Abtretung von 
Gebieten kraft der eigenen Souveränität wurde selbstverständlich durch 
das Abkommen nicht berührt. 
Dieses sogenannte Nordseeabkommen, welches zu Berlin unterzeichnet 
wurde, ging aus dem deutschen Wunsche hervor, die kleineren Nordsee- 
staaten, insbesondere die Niederlande und Dänemark, mit Bertrauen zum 
Deutschen Reiche zu erfüllen, ihnen einen offenbaren und bindenden 
Beweis freiwilligen Wohlwollens und Entgegenkommens zu liefern. Nor- 
wegen findet sich unter den Unterzeichnermächten aus dem einfachen 
Grunde nicht, weil es gleich nach seiner Konstituierung als Königreich Neu- 
tralitätsverträge mit den Mächten eingegangen war. Bezeichnend war 
die Teilnehmerschaft Frankreichs, welches keine eigene Nordseeküste hat, 
am Abkommen. Es hieß, das Deutsche Reich hätte auf Beteiligung Frank- 
reiche keinen Wert gelegt, die großbritannische Regierung hätte aber er- 
klärt, sie sei ohne Hinzuziehung Frankreichs für das Abkommen nicht zu 
haben. Ohne die Teilnahme Großbritanniens aber hätte das Abkommen 
keinen Sinn gehabt, da die Garantie der holländischen und dänischen 
Küsten, bzw. ihrer Integrität sich nicht zum wenigsten auch auf britische 
Landungen usw. im Kriegsfalle bezog. Die Wahrung der „souveränen 
Rechte“ deutete gerade diesen Fall an. Der Zweck des Abkommens ergibt 
sich schon aus dieser Überlegung genugsam, und anderseits war begreiflich, 
daß deohalb Großbritannien und Frankreich wenig entzückt von dem Ge- 
danken des Abkommens waren, sich ihm aber nicht entziehen konnten, 
ohne Mißtrauen bei Holland und Dänemark hervorzurufen. Eine andere 
Frage war freilich, ob in einem großen Kriege gerade Großbritannien 
ein solches Abkommen achten würde, wenn es politisch und militärisch 
vorteilhaft erschiene, es nicht zu achten. Diese Uberlegung hat sich die 
deutsche Regierung ebenso zweifellos gemacht, wie die Hollands, Däne- 
marks und Schwedens. IZmmerhin war das Abkommen ein Beweis
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.