Das russisch-britische Abkommen und andere Abkommen. 329
gemeinsamer Ubereinstimmung Maßnahmen für die Erhaltung des Status
quo zu treffen. — In einem Anhange des Abkommens wird dasselbe
dabin präzisiert: der Grundsatz der Erhaltung des Status quo bezieht sich
lediglich auf die zurzeit vorhandenen Gebietsteile der Vertragsmächte,
welche an die Nordsee grenzen. Dagegen kann dieses Abkommen nicht
angerufen werden, wenn eine der Vertragsmächte auf Grund ihrer Sou-
veränität frei über ihre Besitzungen verfügt.
Das bedeutete mit anderen Worten, daß das Abkommen sich nicht
auf den Kolonialbesitz der Mächte bezog und ebensowenig auf ihr Gebiet,
sofern es nicht an die Küsten grenzte. Es handelte sich mithin nicht um
einen allgemeinen und vollständigen Garantievertrag hbinsichtlich der
Integrität und Unabhängigkeit des Gebietes, sondern lediglich um Küsten
und Inseln. Das Beräußerungsrecht oder das Recht der Abtretung von
Gebieten kraft der eigenen Souveränität wurde selbstverständlich durch
das Abkommen nicht berührt.
Dieses sogenannte Nordseeabkommen, welches zu Berlin unterzeichnet
wurde, ging aus dem deutschen Wunsche hervor, die kleineren Nordsee-
staaten, insbesondere die Niederlande und Dänemark, mit Bertrauen zum
Deutschen Reiche zu erfüllen, ihnen einen offenbaren und bindenden
Beweis freiwilligen Wohlwollens und Entgegenkommens zu liefern. Nor-
wegen findet sich unter den Unterzeichnermächten aus dem einfachen
Grunde nicht, weil es gleich nach seiner Konstituierung als Königreich Neu-
tralitätsverträge mit den Mächten eingegangen war. Bezeichnend war
die Teilnehmerschaft Frankreichs, welches keine eigene Nordseeküste hat,
am Abkommen. Es hieß, das Deutsche Reich hätte auf Beteiligung Frank-
reiche keinen Wert gelegt, die großbritannische Regierung hätte aber er-
klärt, sie sei ohne Hinzuziehung Frankreichs für das Abkommen nicht zu
haben. Ohne die Teilnahme Großbritanniens aber hätte das Abkommen
keinen Sinn gehabt, da die Garantie der holländischen und dänischen
Küsten, bzw. ihrer Integrität sich nicht zum wenigsten auch auf britische
Landungen usw. im Kriegsfalle bezog. Die Wahrung der „souveränen
Rechte“ deutete gerade diesen Fall an. Der Zweck des Abkommens ergibt
sich schon aus dieser Überlegung genugsam, und anderseits war begreiflich,
daß deohalb Großbritannien und Frankreich wenig entzückt von dem Ge-
danken des Abkommens waren, sich ihm aber nicht entziehen konnten,
ohne Mißtrauen bei Holland und Dänemark hervorzurufen. Eine andere
Frage war freilich, ob in einem großen Kriege gerade Großbritannien
ein solches Abkommen achten würde, wenn es politisch und militärisch
vorteilhaft erschiene, es nicht zu achten. Diese Uberlegung hat sich die
deutsche Regierung ebenso zweifellos gemacht, wie die Hollands, Däne-
marks und Schwedens. IZmmerhin war das Abkommen ein Beweis