Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

340 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
zwar Rußland vorläufig beruhigt, aber England und Frankreich waren 
„um so unzufriedener. 
Zu den politischen Schwierigkeiten, die sich dem deutschen Unter- 
nehmen entgegensetzten, kamen fortwährend die geldlichen und verflochten 
sich mit ihnen. Die deutschen Eisenbahnunternehmungen in der Türkei, 
welche mit der Zeit alle in dem großen Bagdadbahnunternehmen zusammen- 
gefaßt wurden, bildeten ein Privatunternehmen der Oeutschen Bank. 
Bei der außerordentlichen Größe und Weitsichtigkeit der Sache war selbst- 
verständlich, daß das Unternehmen entsprechende Vertretung und Stützung 
von der deutschen wie von der türkischen Regierung erhalten mußte. Für 
die deutsche Regierung, wie für jede andere war das eine selbstverständ- 
liche Sache. Kein Staat würde anders verfahren haben. England, Ruß- 
land und Frankreich bedienten sich, um Schwierigkeiten zu machen, des 
Mittels, die Deutsche Bank mit der deutschen Regierung zu identifizieren. 
Dazu kam ungünstig und erschwerend, daß in Oeutschland selbst vielfach 
das Ziel und die Bedeutung des Bahnplanes teils in unrichtig und maßlos 
übertriebener Weise in die Welt hinausgerufen wurde. Man sprach schon 
um die Zahrhundertwende öffentlich mit einem, den Ereignissen weit 
vorgreifenden Triumphe von der Bahn, welche Indien bedrohen und einen 
türkischen Einfall nach Agypten hin ermöglichen werde. Am Persischen 
Golf werde ein deutscher Kriegshafen entstehen und in Mesopotamien 
würde die „überschüssige“ deutsche Bevölkerung angesiedelt werden. Zn 
dieser Richtung sind damals bei uns große Fehler begangen worden, 
welche zu begehen keineswegs notwendig war. Ze stiller die Bagdadbahn 
gebaut wurde, desto besser. Das grundlose Gerede von deutschen Sied- 
lungen in Mesopotamien und gar Kleinasien war überdies geeignet, bei 
den Türken starkes und tatsächlich ganz ungerechtfertigtes Mißtrauen 
gegen die deutschen Absichten zu säen. Daß es anderseits möglich sein werde, 
nach Auegestaltung des Bahnnetzes die Türkei zu einer gefährlichen Be- 
drohung Agpptens und Indiens zu machen, war gewiß richtig, aber so 
etwas durfte man nicht sagen, solange Großbritannien noch Mittel be- 
saß, um den Bahnbau zu bindern und zu verzögern. In den neunziger 
Zahren und bis über die JLahrhundertwende hinaus war überhaupt 
sehr zweifelhaft, ob es gelingen werde, die Bahn mit deutschen Mitteln 
zu bauen. Einmal war die geldliche Belastung eine ungeheure und ferner 
hinderten die anderen Großmächte den Weiterbau der Bahn dadurch, 
daß sie der Türkei die Zollerböhungen weigerten, welche notwendig waren, 
damit sie die notwendigen Kilometergarantien leisten konnte. Schon 
in den neunziger Jahren hatte die deutsche Gesellschaft sich deshalb be- 
müht, ausländisches Kapital heranzuziehen, dabei aber die Führung in 
der Hand zu behalten. Die Bemühungen blieben ohne Erfolg, und Eng-
	        
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