Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

342 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
englischen Geschäftsblick wurde erkannt, daß man Rußland im fernen 
Osten schlagen und vernichten lassen müsse, dafür aber im naben Osten 
um so besser brauchen könne. Wie immer in solchen großen Fragen, so 
kam auch hier eine Anzahl von Znteressen und Gesichtspunkten zu- 
sammen, welche den deutschen Borschlag scheitern ließen. Uber allem 
stand die wachsende Deutschfeindlichkeit aller politischen Kreise Großbri- 
tanniens (siehe die Benezuela-Angelegenheit). Dazu kam die unbestimmte 
Besorgnis für Indien und Agypten, wahrscheinlich auch im besonderen 
der Gedanke an einen befestigten türkischen Hafen Koweit. In Koweit 
war schon einige Jahre vorher der derzeitige Bizekönig von Indien, Lord 
Curzon, gewesen. Er hatte mit den Scheiks von Koweit und Moham-- 
mera in der üblichen englischen Weise „Freundschaft“ und ein Abkommen 
geschlossen. Die beiden Scheiks, hauptsächlich der von Koweit, hatten sich 
schon längst wegen der zerrütteten Verhältnisse im Türkischen Reiche 
und im besonderen wegen des Mangels an Verbindungen mit dem Zen- 
trum des Reiches weitgehender Selbständigkeit erfreut. Die britische RKe- 
gierung und Lord Curzon förderten das Unabhängigkeitsbewußtsein der 
Scheiks, erkannten ihre Auffassungen an und erreichten damit von ihnen 
die verehrungsvolle Freundschaft solcher halbwilden Potentaten, die nicht 
wissen, daß sie so gerade in die Abhängigkeit gelangen müssen. In dieser 
Verbindung erscheint noch bedeutungsvoller, daß, einige Zahre später, 
im Abkommen mit Rußland Großbritannien sich seine Vorzugsstellung 
im Persischen Golf garantieren ließ. Immerhin lag 1903 die Frage eines 
befestigten Koweit in sehr weiter Ferne, näher der allgemeinere Ge- 
danke, daß, je weiter der Bau der Bahn vorschritt, desto fester alle tür- 
kischen Länder, die sie durchquerte, an das Zentrum des Reiches ange- 
schlossen wurden, daß in gleichem Maße die türkische Regierung in die Lage 
kam, mit einer bisher unerhörten Schnelligkeit Lruppen in die Gebiete 
aufständischer Bevölkerungen, unbotmäßiger Scheiks usw., zu werfen. 
Eine solche Stärkung der türkischen Zentralgewalt wünschte Großbritan- 
nien ebensowenig wie Rußland und Frankreich: hier liefen ihre Interessen 
in ganz gleicher Richtung. Wenn nun Lord Lansdowne, ob aus eigenem 
Antriebe oder nicht, damals jede britische Beteiligung am Bahnunter- 
nehmen ablehnte und sich von der antideutschen Welle tragen ließ oder 
sie leitete, so stand dahinter immerhin die feste Überzeugung, es werde 
gelingen, den Bau der Bagdadbahn zunächst unendlich zu verzögern und 
schließlich ihn überhaupt zu Falle zu bringen. Wäre die britische Entschei- 
dung anders ausgefallen, so hätte das zwar einen schnellen und glatten 
Fortgang des Unternehmens bedeutet, es aber mit der Zeit zu einem 
internationalen gemacht, mit allen wirtschaftlichen wie politischen Folgen 
eines solchen. Die Weigerung Großbritanniens ist deöhalb ein Glück für
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.