Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Bosnische Krisis. 345 
  
die deutsche Sache geworden. Französisches Kapital war anderseits stark 
an dem Bagdadbahnunternehmen beteiligt. Die Werte wurden aber nicht 
an der Pariser Börse zugelassen, entsprechend dem Grundsatze der fran- 
zösischen Regierung seit dem Kriege 1870/71, daß auf dem Pariser Geld--- 
markte deutsche Werte nicht gehandelt werden dürften. Im Falle des 
Bagdadbahnunternehmens glaubte man wahrscheinlich durch diese Zurück- 
haltung entweder die Vollendung des Unternehmens beliebig hinzu- 
zögern oder aber zu erzwingen, daß die deutsche Gesellschaft, um es in 
absehbarer Zeit vollenden zu können, die Leitung völlig aus der Hand 
gäbe und es ganz internationalisieren ließe. Wäre das geschehen, so würde 
die Führung von selbst in die Hände Englands, Frankreichs und Rußlande 
übergegangen sein. Das Bahnunternehmen were anstatt ein Mittel zur 
Stärkung und Hebung der Türkei ein Werkzeug geworden, um sie gänzlich 
in die Hände ihrer Feinde zu bringen und ihre Zergliederung in Einfluß- 
sphären vorzubereiten, die Möglichkeiten deutscher Orientbetätigung aber 
zu vernichten. 
So standen die Dinge zur Zeit des Russisch-Zapanischen Krieges und der 
Marokkokrisis. Im Lichte dieser Zusammenhänge wird die oben berichtete 
Außerung des Freiherrn v. Marschall vor der Tangerreise des Deutschen 
Kaisers erst recht verständlich: wenn man Marokko aufgäbe, so würde jene 
Rede des Deutschen Kaisers zu Damaskus im Jahre 1898 gewissermaßen des- 
avouiert: „Mögen die dreihundert Millionen Mohammedaner, welche auf 
der Erde verstreut leben, dessen versichert sein, daß zu allen Zeiten der 
Deutsche Kaiser ihr Freund sein wird.“ Es braucht kaum mehr auedrücklich 
gesagt zu werden, daß den Mächten der Tripelentente viel daran liegen 
mußte, Deutschland, die deutsche Macht und die Festigkeit des deutschen 
Willens gegenüber der Welt des Islam zu diskreditieren. Die Ergebnisse 
der Konferenz von Algeciras und die unmittelbar nachher beginnende 
Willkürpolitik Frankreichs in Narokko haben zeitweilig in der Tat den 
Türken und den Mohammedanern des Orients überhaupt viel von ihrem 
Glauben an die Macht und an die Zuverlässigkeit des Deutschen Reiches 
genommen. 
Der Weg Deutschlands nach dem Orient wörtlich wie bildlich ging 
über die Balkanhalbinsel. Die dortigen Verhältnisse und Fragen in un- 
auflöslicher Berbindung mit den Fragen des Orients bedeuteten zugleich 
europäische Fragen kritischer und gefährlicher Art, denn jeder Versuch 
zu einer Anderung der Grenzen, der zwischenstaatlichen Beziehungen, 
des Maßes an Einfluß warf im Au das künstliche mehr vorgespiegelte ale 
wirkliche „Gleichgewicht“" um und stellte annähernd alle europäischen 
Mächte vor die Kriegefrage. 
Der Verbündete des Deutschen Reiches, ÖOsterreich-Ungarn, war durch
	        
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