346 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914.
biens, welche schließlich zum Kriege geführt hat. Denn von da
an gewann jene Politik in Serbien die Oberhand, welche später unter
dem Namen der großserbischen Bestrebungen bekannt geworden ist.
Ein Serbe, der vielgenannte Pasitsch, hatte schon unter König Milan
einen Balkanbund unter der Fahne der nationalen Idee, also: „den Bal-
kan den Balkanvölkern“, zu vertreten gesucht, jedoch vergebens, denn
König Milan erblickte prophetisch darin den Untergang Serbiens. Als
Peter Karageorgewitsch den Thron bestiegen hatte, vermählte sich die
großserbische Ldee mit der des Balkanbundes, und über allem schwebte
der allslawistische Gedanke. Oieser hatte sich aber inzwischen verwandelt.
Während der Allslawismus früher vom kirchlich-religiösen Kegiment der
russischen Orthodoxie ausgegangen war, war er jetzt nationalistisch ge-
worden und nannte sich Reoslawismus. Befreiung der Balkanvölker,
Zusammenschluß der Nationalitäten und der flawischen Rasse im großen
Verbande war das neue Ziel. In Serbien, dem Ursprungslande, erregte
die neue Idee wilde Begeisterung, und bald galt Osterreich-Ungarn als
der Feind. Die in Bosnien wohnenden Serben und die des ungarischen
Banates mußten „befreit“ werden und ebenso die des Sandschaks Nowi-
basar. Der serbische Ebhrgeiz ging aber noch weit bierüber hinaus und
verwurzelte sich in der Vorstellung, das serbische Reich müsse in der Größe
wiederhergestellt werden, welche es einst unter Stefan Duschan gehabt hätte.
Das Programm, welches König Peter damals von seinen Ministern
bzw. Rußland vorgeschrieben wurde, bildete die politische Kriegserklärung
an ÖOsterreich-Ungarn, nämlich: Propaganda in Bosnien unter der ser-
bischen Bevölkerung, sich an Serbien anzuschließen und Stiftung von Un-
zufriedenheit unter der mohammedanischen Bevölkerung Bosniens und
der Herzegowina. Die dortige österreichisch-ungarische Berwaltung sollte
durch die Propaganda diekreditiert werden. Wirtschaftlich lautete das
Programm auf Befreiung von wirtschaftlichen Beziehungen zu ÖOster-
reich--Ungarn und Belebung solcher mit Rußland, Frankreich, England
und Italien, ferner Förderung des Balkanbundes durch Verständigung
mit Bulgarien über Reformen in Mazedonien. Abnliche Arbeit wie in
Bosnien sollte in Kroatien unter den dort wohnenden Serben und Serben-
freunden betrieben werden. Zn damaliger Zeit ist Serbien in Deutsch-
kand wenig beachtet worden, und man hat nicht ernst genommen, was
dort vor sich ging. Das Regierungsprogramm aber, welches König Peter
im Zahre 1905 zur Richtschnur nahm, läßt die Entwicklung der serbischen
Verhältnisse bis zur Katastrophe 1914 ales vollkommen geradlinig und
konsequent erscheinen.
Auch Bulgarien trat zeitweise in das Zeichen des Neoflawioèmus,
umd die hauptsächlich von Petersburg aus geleitete Propaganda wurde