Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Bosnische Krisis. 353 
  
Bestrebungen gerichtet sind: einerseits auf die Erhaltung der Einigkeit 
unter den Mächten, anderseits auf die Zustimmung der Pforte zu den 
vorgeschlagenen Reformen. Man kann von uns keinen Enthusiasmus 
für Maßnahmen erwarten, die wir nicht für wirksam oder die wir gar 
für gefährlich halten. Zu den letzteren rechnen wir Neuerungen, die die 
Landeshoheit des Sultans gefährden und dadurch die Türkei und ihre 
mohammedanische Bevölkerung zum äußersten Widerstand reizen würden.“ 
Diese Wendungen, besonders die letzten beiden Sätze, bezeichneten 
die ablehnende Stellung Bülows gegenüber dem Ziele der englisch-ruf- 
sischen Zusammenarbeit auf dem Balkan: Mazedonien vom Türkischen 
Reiche zu lösen und so das Signal zur Zertrümmerung der europäischen 
Türkei zu geben. Der Standpunkt des Deutschen Reichskanzlers blieb auch 
jetzt noch: Deutschland müsse in allen politischen Orientfragen sich nach 
Möglichkeit zurückhalten. Im November 1907 noch hatte Bülow gesagt: 
„Die Frage der mazedonischen Reformen gehört zu dem Kompler von 
Fragen, in denen wir den Ententemächten in den Verhandlungen mit der 
Pforte den Vortritt lassen.“ Im März 1908 war die Sprache des Kanz- 
lers schärfer, enthielt aber trotzdem keine Andeutung, für die Türkei und 
gegen die Großmächte Stellung zu nehmen. König Eduard und seine 
Ratgeber rechneten mit dieser deutschen Zurückhaltung und hofften 
„tätig“", daß sie türkische Mißstimmung gegen Deutschland zur Folge 
haben würde. 
König Eduard von England hatte seit Beginn seiner Regierung 
großen Wert darauf gelegt, seine persönlichen Beziehungen zu Kaiser 
Franz Joseph freundschaftlich und eng zu gestalten. Seit 1907 soll er ver- 
sucht haben, ÖOsterreich-Ungarn von seinem deutschen Bundesgenossen 
zu lösen, außerdem Kaiser Franz Joseph zu Einwirkungen auf den Deut- 
schen Kaiser zu veranlassen, dieser möge den deutschen Flottenbau ein- 
schränken. Kaiser Franz Joseph habe derartige Zumutungen von sich 
gewiesen. In diesen Gerüchten wird, wie meist in ähnlichen Fällen, ein 
Kern von Wahrheit stecken. Es kommt aber weniger darauf an, wieviel 
Wahres daran gewesen ist. Hätte Deutschland in dieser Richtung nach- 
gegeben, so würde das deutsch-britische Berhältnie nicht besser, sondern 
nur die deutsche Stellung der großen Einkreisungsentente gegenüber eine 
schwächere geworden sein. Gab Kaiser Franz Joseph sich zur Ubermittlung 
eines solchen Auftrages nicht her, so handelte er nur klug, im Znteresse 
der deutsch-österreichischen Beziehungen und damit im Znteresse der 
Doppelmonarchie. 
Was die großbritannischen Versuche betrifft, Osterreich-Ungarn auf 
die Seite der Tripelentente zu bringen, so beziehen sich diese mit auf einen 
Aufteilungsplan des Türkischen Reiches, der von Lord Curzon aus- 
Graf Reventlow, Deutschlands auswäetige Polltie. 25
	        
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