Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

358 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1911. 
  
rischen Charakter der Okkupation fort. Ferner kam vor der letzten Sitzung 
des Berliner Kongresses zwischen Osterreich-Ungarn und Rußland eine 
Sonderabmachung zustande, des Inhaltes: Wenn infolge etwaiger aus 
der türkischen Berwaltung des Sandschaks Nowibasar entstehender Miß- 
helligkeiten Osterreich-Ungarn gezwungen sein könnte, dieses Gebiet end- 
gültig zu besetzen, wie Bosnien und die Herzegowina, so werde die ruf- 
sische Regierung keinerlei Einwendungen erheben. Ahnliche Versicherungen 
Großbritanniens lagen schon vor dem Kongresse vor. — 
Oreißig Jahre lang hatte Osterreich-Ungarn diese Gebiete besetzt ge- 
halten und verwaltet, Ordnung war geschaffen worden, und die Bevölke- 
rung gedieh. Die Länder waren durch den Umfang dieser zivilisatorischen 
Arbeit auch innerlich Eigentum der Doppelmonarchie geworden. Sie zu 
annektieren, soll in Wien schon früher erwogen worden sein, jedoch hatten 
die österreichisch-ungarischen Staatsmänner sich zum Entschlusse nicht durch- 
ringen können. Die türkische Revolution und ihre Begleiterscheinungen 
zwangen zu schnellem, entschlossenem Vorgehen, ehe die serbisch-flawische 
Bewegung in unnatürlicher Vereinigung mit der jungtürkischen die Okku- 
pationsgebiete in Brand setzte. Eine jungtürkische Gefahr war deshalb vor- 
handen, weil nicht nur Mohammedaner in den Okkupationsgebieten wohn- 
ten, auch türkische Krongüter sich dort befanden, sondern jenes Geheim- 
abkommen mit dem Grafen Andrassy unter dem neuen Feldgeschrei der 
Integrität des Türkischen Reiches zur Rückforderung der Okkupationsgebiete 
an die Türkei führen konnte. Oie Annexion durch die österreichisch- 
ungarische Monarchie schnitt die großserbischen wie die türkischen Wünsche 
in boônischer Richtung kurz ab und stellte beide Bewegungen vor eine 
vollendete Tatsache. 
Freiherr v. Aehrenthal hatte von seinem Schritte vorher niemanden 
benachrichtigt, auch nicht die Türkei. König Eduard von England hatte noch 
am 153. August in Wien geweilt, aber auch ihm hatte man von den Plänuen 
nichts gesagt, obgleich sie vollkommen bereit zur Ausführung waren. Freiherr 
v. Aehrenthal war keineswege unvorbereitet zur Annexion geschritten. Er 
hatte dem deutschen Staatssekretär des Auswärtigen, Freiherrn v. Schoen, 
und dem italienischen Minister des Auswärtigen, Herrn Tittoni, seine Absicht 
der Annexion eröffnet, ohne bei ihnen einem Widerspruche zu begegnen. Uber 
den Zeitpunkt, wann er sie beabsichtigte, hatte er jedoch nichts verlauten 
lassen und ist anscheinend von den beiden Staatsmännern auch nicht danach 
gefragt worden. Drei Wochen vor der Annexion hatte Aehrenthal zu Buch- 
lau eine Begegnung mit dem russischen Minister des Auswärtigen, Herrn 
Zowoleki. Mit diesem soll auch schon im Herbst 1907 über die Sache 
gesprochen worden sein, und zwar hätte Zswolski damals von Österreich- 
Ungarn als Kompensation verlangt, daß man für die Offnung der Oarda-
	        
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