Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Bosnische Krisis. 571 
  
deutschen Kreisen gleich sehr ernst genommen worden. Fürst Bülow hat 
sich dem Anschein nach mehrere Male vom russischen Minister Jswoleki 
versichern lassen, „daß keine, weder offene noch geheime russisch-englische 
Abmachungen bestünden, die sich gegen deutsche Interessen richten könnten“. 
Diese Versicherung war ebenso nichtssagend wie unwahr, wird auch beim 
Fürsten Bülow schwerlich Glauben gefunden haben. Ees handelte sich nur 
um eine Form. Daß er aber an Zswolski die Frage stellte, und zwar wieder-- 
holt, bewies die Bedeutung, welche man in Berlin mit Recht der Sache 
beimaß. 
Unmittelbar nach der Revaler Zusammenkunft wurde in der Presse 
von einer Rede des Deutschen Kaisers berichtet, die er auf dem Truppen- 
Üübungsplatze zu Döberitz unter Hinweis auf die Möglichkeit einer nahen 
Kriegsgefahr gehalten habe. Die Rede wurde halbamtlich in Abrede ge- 
stellt, jedoch in Wendungen, die zeigten, daß man die Lage tatsächlich für 
ernst hielt und daß die Fragen des nahen Orients ihren Angelpunkt 
bildeten. Das halbamtliche Blatt warnte eindringlich gerade die deutsche 
Presse vor Legendenbildung, da das Deutsche Reich dauernd das Ziel von 
Verleumdungen bilde, die von allen Seiten gegen seine Politik gerichtet 
würden. Wiederum wenige Tage später kam der Deutsche Kaiser zu Segel- 
regatten nach Hamburg; er wurde dort von der Menge in ungewöhnlich 
erregter Stimmung und mit der „Wacht am Rhein“ empfangen. Zn einer 
Ansprache darauf sagte der Kaiser: „Als ich mich fragte, wo der Grund 
für den Auebruch der Begeisterung läge, da erschallte spontan, dann immer 
mächtiger anschwellend, unser altes deutsches Sturmlied. Nun wußte ich 
genug. Meine Herren, ich danke Ihnen dafür, ich habe Sie verstanden. 
Es war der Druck der Freundeshand einem Manne, der entschlossen seinen 
Weg geht und der weiß, daß er jemanden hinter sich hat, der ihn versteht 
und der ihm helfen will.“ — 
Aus diesen Außerungen des Kaisers und aus denen des Reichskanzlers 
gebt hervor, daß man eine europäische Krisis infolge Revals im Anzuge 
sab und die aggressive Tendenz der von König Eduard organisierten Ein- 
kreisung wohl fühlte. Daraus ergibt sich weiter, daß die bosnische Annexion 
der Tripelentente mit ihren Vasallen nur einen Anlaß, gleichsam ein Ventil 
bedeutete. 
Das Verhältnis des Deutschen Reiches und Osterreich-Ungarns war, 
unbeschadet des alten Bündnisvertrages und über ihn hinaus, auf eine 
neue gemeinsqame Grundlage gelangt, nicht durch die Bogenische Krisis, 
sondern diese hatte nur gezeigt, daß dem so war. Man konnte, und viel- 
leicht mit subjektivem Rechte, diese Tatsache bedauern und als besorglich 
ansehen, aber sie war kein Ding an sich, sondern eine notwendige Folge der 
deutschen Orientpolitik. Wollte das Deutsche Reich diese, so mußte es nach 
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