Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

372 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
dem 2A auch B sagen. Oaneben stand selbstverständlich die Uberlegung im 
Vordergrunde, daß das Oeutsche Reich an der Erhaltung Österreich-Un- 
garns als Großmacht tief interessiert war. Das Deutsche Reich trat 1908 
nicht eigentlich für ein österreichisches Bosnien ein, sondern für die Groß- 
machtstellung Osterreich-Ungarns. Rein politisch betrachtet, wäre dem- 
gegenüber als anderer Weg nur die Preisgabe Österreich-Ungarns ge- 
bliebeen und damit fraglos der Verlust des Bundesgenossen. Eine solche 
Politik wäre nur diskutierbar gewesen bei gleichzeitiger Schaffung eines 
neuen Bundesverhältnisses zwischen dem Deutschen Reiche und einer 
anderen Großmacht. Das stand damals aber für die leitenden Männer in 
Deutschland außer Betracht, und über Möglichkeiten soll hier nicht ge- 
sprochen werden. 
Das österreichisch-ungarische Selbstvertrauen hatte sich durch die Bos- 
nische Krisis stark gehoben, und das Ansehen der Doppelmonarchie war 
gewachsen. Sie hatte seit langer Zeit wieder die Befähigung zu einer 
kräftigen außenpolitischen Aktion dargetan und gleichzeitig Gelegenheit 
gehabt, das Funktionieren der Mobilmachung des Heeres zu zeigen. Graf 
Aehrenthal übertrieb dieses Selbstbewußtsein auch dem Deutschen Reiche 
gegenüber, gefolgt von einem großen Teile der Presse. Er wünschte mit 
England und Rußland wieder in gute Beziehungen zu gelangen, außerdem 
vertrug sein Ehrgeiz nicht, daß die Offentlichkeit Europas die Bedeutung 
des deutschen Beistandes so hoch anschlug. Graf Aehrenthal betonte des- 
halb wiederholt die Selbständigkeit der Entschlüsse und der Handlungen der 
Doppelmonarchie und seine Unzugänglichkeit gegenüber reichsdeutschen 
Beeinflussungsversuchen. Diese Dinge erregten vorübergehende Mißstim- 
mungen zwischen den beiden Bundesgenossen, blieben jedoch ohne Folgen 
und verschwanden in den nächsten JZahren. 
Für das Deutsche Reich und Volk war jede Zunahme der Stärke, 
Geschlossenheit und des Selbstbewußtseins ÖOsterreich-Ungarns ein klar 
erkannter und gewünschter Gewinn. 
Oie Französische Republik hatte sich, wie erwähnt wurde, in der Bos- 
nischen Krisis zurückgehalten und für die Erhaltung des Friedens gearbeitet. 
Frankreich konnte aus den erwähnten Gründen keinen Krieg brauchen, 
hatte außerdem allen Anlaß, kostenlos seine Stellung und Alssichten in 
NMarokko wesentlich zu verbessern. Zm Herbst 1908 war es zu einem deutsch- 
französischen Zwischenfalle in Marokko, und zwar zu Casablanca, gekommen. 
Deutsche, russische und ein österreichischer Deserteur der Fremdenlegion 
batten versucht, auf Dampfern, die im Hafen lagen, zu entkommen. Ein 
deutscher Konsulatsbeamter, ein Konsulatssoldat und noch ein Deutscher 
versuchten, den Deserteuren zu helfen. Französische Soldaten und ein 
Offizier griffen ein, es kam zu Tätlichkeiten, und der Fall erschien zunächst
	        
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