Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Orientpolitik und Boenische Krisie. 373 
als nicht unbedeutend. In der öffentlichen Meinung der beiden Mächte ent- 
stand große Erregung, und Frankreich nahm, die Regierung an der Spitze, 
die heroische Pose des zu Unrecht Bedrohten, aber zum Kampfe Bereiten 
an. Drohungen lagen der deutschen Regierung wohl von vornherein sehr 
fern, aber es läßt sich nicht leugnen, daß sie zunächst fest auftrat und dann 
eine nachgiebige Haltung einnahm. Die Untersuchungen ergaben, daß der 
deutsche Beamte in der Begünstigung der Deserteure über seine Befug- 
nisse hinausgegangen war, während anderseits französische Tätlichkeiten 
gegen den Beamten festgestellt wurden. Man übertrug die Sache dem 
Haager Schiedsgerichte, welches im Mai 1909 ein mehr zuungunsten der 
deutschen Sache neigendes Urteil fällte. Der Fall von Casablanca war an 
sich unbedeutend, wurde aber, wie gesagt, nicht sehr geschickt behandelt, be- 
sonders insofern, als man den Franzosen Gelegenheit zum Glauben gab, 
die deutsche Regierung habe erst gedroht und einschüchtern wollen und sei 
dann zurückgewichen. Das damalige Kabinett Clémenceau betonte einmal 
über das andere, Frankreich habe keine Furcht, sondern sei zum Kriege be- 
reit. König Eduard von England teilte der französischen Regierung mit: 
Großbritannien sei zum Kriege an Frankreichs Seite entschlossen wie 1905. 
Der deutschen Regierung war der Zwischenfall von Casablanca auch 
aus einem andern Grunde höchst unerwünscht gewesen: sie trug sich bereits 
im Sommer 1908 mit dem Gedanken, die deutsch-französische Reibungs- 
fläche in Marokko zu beseitigen und dadurch bessere Allgemeinbeziehungen 
zwischen den beiden Mächten zu schaffen. Man glaubte, dieses werde sicher 
zu erreichen sein, wenn die deutsche Regierung auedrücklich ihre politische 
Deeinteressierung an und in Marokko erkläre. Auf der anderen Seite hoffte 
man auf wirtschaftlichem Gebiete mit Frankreich einträchtig zusammen 
arbeiten zu können und so die Möglichkeit einer fruchtbareren wirtschaft- 
lichen Arbeit in Marokko zu erbalten als bièher. Die Bosnische Krisis 
verstärkte den deutschen Wunsch nach einer deutsch-französischen Ber- 
ständigung. Aur unterbrochen durch die Casablancasache, wurden Ver- 
handlungen eingeleitet und unter führender Mitwirkung des späteren 
Staatesekretärs v. Kiderlen-Waechter zum Abschluß gebracht. Das Er- 
gebnis der Berhandlungen bildete die folgende Vereinbarung, welche am 
9. Februar 1000 unterzeichnet wurde: 
„Die Negierung der Französischen Republik und die deutsche Reichs-- 
regierung haben, von dem gleichen Bestreben bewegt, die Ausführung der 
Akte von Algeciras zu erleichtern, vereinbart, die Tragweite, die sie ihren 
Bestimmungen beilegen, näher zu bestimmen, in der Absicht, für die Zu- 
kunft jede Ursache eines Mißverständnisses zwischen ihnen zu vermeiden. 
Infolgedessen erklären die Regierung der Französischen Republik in voller 
Hingabe an die Integrität und die Unabhängigkeit des Scherifischen Reiches
	        
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