374 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914.
und in dem Entschlusse, dort die wirtschaftliche Gleichheit zu erhalten und
infolgedessen die kaufmännischen und industriellen Interessen Deutsch-
lands dort nicht zu beeinträchtigen, und die deutsche Reichsregierung, da sie
in Marokko nur wirtschaftliche Interessen verfolgt und anderweit aner-
kennt, daß die besonderen politischen Znteressen Frankreichs dort auch mit
der Festigung der Ordnung und des Friedens im Inneren verbunden sind
und diese Interessen nicht zu beeinträchtigen entschlossen ist: daß sie keiner-
lei Maßregeln verfolgen oder fördern werden, die geeignet wären, zu ihren
Gunsten oder zugunsten irgendeiner anderen Macht ein wirtschaftliches
Vorzugsrecht zu schaffen, und daß sie trachten werden, ihre Staatsange-
hörigen in den Geschäften, deren Ausführung ihnen übertragen werden
könnte, zu gemeinschaftlichem Borgehen zu verbinden.“ — —
Die allgemeine politische Bedeutung dieses Abkommens mitten in der
Bosnischen Krisis war nicht in Abrede zu stellen, denn das Zustandekommen
der Vereinbarung in einem solchen Augenblicke lieferte einen öffentlichen
Beweis für die Friedlichkeit der Atmosphäre zwischen Frankreich und
dem Deutschen Reiche. Der Wunsch der französischen Regierung, daß der
Frieden erhalten werde, wurde gleichfalls betont. Ein offiziöses deutsches
Organ schrieb zu dem Abkommen:
„Das Hauptverdienst wird das negative sein, Marokko als politische
Streitfrage aus den deutsch-französischen Beziehungen auszuschalten.
Unter Gesichtspunkten der europäischen Politik aber ist es immerhin er-
freulich, daß in einer Zeit, wo die Großmächte mit Balkansorgen beschäftigt
sind, zwischen Berlin und Paris ein so wesentlicher Schritt zur Beseitigung
des marokkanischen Interessenstreites geschehen konnte. Kurz nach dem Ein-
treffen des englischen Königspaares in Berlin ist das Abkommen Deutsch-
lands mit Frankreich unterzeichnet worden. Die zeitliche Annäherung beider
Ereignisse kann ale zufällig betrachtet werden, sie weist aber darauf hin, daß
in unserem Verhältnis zu den Westmächten gegenwärtig eine fühlbare Ab-
spannung eingetreten ist.“ — Das war wohl annähernd die allgemeine
Auffassung damals in Deutschland, aber auch die einzige, die das Abkommen
deutscherseits rechtfertigen konnte, denn daß diese Bereinbarung einen
weiteren großen Schritt zurück Deutschlands hinsichtlich Marokkos be-
deutete, lag auf der Hand. Die Vereinbarung vollzog die auf solchem
Gebiete praktisch unmögliche Trennung des politischen und des wirtschaft-
lichen Interesses und gab Marokko somit auch wirtschaftlich in französische
Hand. Man hat damals in Berlin bemerkenswerterweise die tatsächliche
Hoffnung gehegt, Frankreich würde sich in Marokko politisch lopal ver-
halten und zu einem wirtschaftlichen Zusammenwirken gemeinsam mit
Deutschland durch private Unternehmer und Unternebhmungen bereit sein.
Die französische Regierung und ihr Botschafter zu Berlin, Herr Cambon,