Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

376 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Der Besuch des Königs von England war in der Tat ohne jede Be- 
deutung, und die Unterhaltungen des Fürsten Bülow mit dem Begleiter 
des Königs, Sir Charles Hardinge, gingen über allgemeine Bedeutunge- 
losigkeiten nicht hinaus. Es war ein großer Frrtum, daß man damals und 
auch noch nachher in Deutschland die Ansicht hegte, der König habe sich 
durch den Verlauf der Bosnischen Krisis belehren lassen, daß seine Ein- 
kreisung ein Fehlschlag sei, und wolle jetzt aufrichtig Entspannung und ein 
freundschaftliches Berhältnis mit Deutschland. Der Besuch des Königs und 
die äußerlich freundliche Atmosphäre führten sich vielmehr wohl auf den 
Gedanken zurück, wie die Franzosen sagen: „Zurückzutreten, um besser zu 
springen.“ 
In den leitenden Kreisen Großbritanniens wie in der dortigen Be- 
völkerung war während und nach der Bosnischen Krisis von Entspannung 
nichts zu merken, im Gegenteil waren Presse und Parlament mehr denn 
je voll von Außerungen der Verleumdung und des Hasses gegen das 
Deutsche Reich und Volk, vor allem gegen den Deutschen Kaiser. In den 
schon mehrfach erwähnten Berichten belgischer Gesandter jener Zeit tut 
der Gesandte zu Berlin, Baron Greindl, Ende März 1909 die wahre und 
unparteiische Außerung: 
„Die Verfassung der Gemüter in England erinnert an die in Frank- 
reich während der Jahre 1866 bis 1870. Damals hielten sich die Franzosen 
für berechtigt, Deutschland an der Wiederherstellung seiner Einheit zu hin- 
dern, weil sie darin eine Bedrohung der Vorherrschaft saben, die Frank- 
reich bis dahin auf dem Festlande ausgeübt hatte. Ebenso betrachtet man 
beute in London die Weigerung Deutschlands, sich vertraglich dazu zu 
verpflichten, von der Gnade Englands abhängig zu bleiben, als einen un- 
freundlichen Akt und als eine Bedrohung des Friedens." 
Man konnte und kann sich nicht treffender ausdrücken. Der Gesandte 
bezog dieses Urteil auf eine Außerung Sir E. Greys über die deutsche 
Flottenpolitik. 
Zu Beginn des Jahres 1909 nämlich stand Großbritannien und im 
weiteren Verlaufe standen auch die britischen Kolonien im Zeichen einer 
„Flottenpanik“. Man entdeckte plötzlich, daß Großbritanniens Flotte in 
unverantwortlicher Weise vernachlässigt worden sei, besonders aber, daß 
die deutsche Marineverwaltung ihr Flottenprogramm heimlich viel weiter 
gefördert habe, alo man in Deutschland öffentlich bekannt gäbe und zu- 
gestände. In wenigen JZahren werde die deutsche Dreadnoughbtflotte 
ebenso stark sein wie die britische und diese dann schnell überflügeln. Höchste 
Gefahr sei somit im Berzuge. Die Oppositionspartei unter Führung Bal- 
sours und anderer in Berbindung mit einer großen Anzahl von inaktiven 
Admiralen und imperialistischen Politikern beschuldigten das Kabinett
	        
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