Orientpolitit und Bosnische Krisis. 379
zeug zur Störung des Friedens baue und von keinem freundschaftlichen
Vorschlage etwas wissen wolle. Die deutsche Politik ihrerseits war damals
noch von der Überzeugung geleitet, daß schweigendes und unentwegtes
Ourchhalten in der Flottenbaupolitik das einzig richtige Berfahren Groß-
britannien gegenüber sei.
Hand in Hand mit dieser verlogenen und verbetzenden Tätigkeit ging
die Propaganda des alten Feldmarschallê Lord Roberts für sofortige
Schaffung eines großen, stehenden Heeres auf der Grundlage der allge-
meinen Dienstpflicht. Lord Roberts hatte seit 1906 ununterbrochen ge-
predigt: die großbritannischen Inseln seien gegen Invasion nicht gesichert
und auch die stärkste Flotte könne ihnen die erforderliche Sicherheit nicht
geben; dazu sei vielmehr nur ein großes Landheer imstande. Der Feld-
marschall meinte nicht, was er sagte, und wenn er von Invasion sprach,
so dachte er nicht an eine deutsche Invasion auf britischem Boden, sondern
an eine britische Invasion durch belgisches oder holländisches Gebiet nach
Oeutschland. Die Agitation, welche die Massen mitreißen wollte, bediente
sich selbstverständlich des unwahren Vorwandes, und auch die urteilslosen
Kolonialbevölkerungen wie die der Vereinigten Staaten waren überzeugt,
daß die Werbetätigkeit von Roberts und seinen Anhängern lediglich der
Befürchtung für die Sicherbeit der großbritannischen Inseln entspränge.
Vom Zahre 1908 an wurde die Armeeagitation auf eine neue Grund-
lage gestellt und unter Schlagworten betrieben, welche der Wahrheit
wenigstens näher kamen. Eine Anzahl einflußreicher Persönlichkeiten und
Blätter begann im Tone ernster Besorgniê und mit allen Mitteln für
den Gedanken Stimmung zu machen: Großbritannien müsse für den Fall
eines europäischen Krieges über ein großes und schlagfertiges Heer ver-
fügen, das jederzeit schnell auf das europäische Festland übergesetzt werden
könne, um Frankreich zu retten. Frankreich allein würde dem Ansturme
der deutschen Armeen nicht gewachsen sein. Die deutschen Truppen wür-
den Holland und Belgien überfluten, deren Häfen in Besitz nehmen und
Frankreich zertrümmern. Dieses alles seien aber Lebensfragen erster Ord-
nung für Großbritannien, und deshalb müsse man das Ziel erreichen,
mindestens eine Viertelmillion fertiger Truppen zur Berwendung auf
dem Festlande zur Verfügung zu haben. Hier muß daran erinnert werden,
daß gerade im Jahre 1908 die großbritannische Presse auf Inspiration der
Regierung ein Bündnis mit Frankreich und auch mit Rußland empfohlen
und dafür in den französischen und russischen Zeitungen die Antwort er-
halten hatte: ein Bündnis wäre jetzt ein schlechtes Geschäft, weil Groß-
britannien keine nennenowerten Streitkräfte für Festlandsverwendung
aufgestellt habe. Gleichviel aber, ob man damals wirklich ein Bündnis mit
Frankreich gewünscht hat oder nicht, so war auf alle Fälle der bestimmende