Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

380 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Eindruck, daß Frankreich sich, nachdem im übrigen der Augenblick gekommen 
sei, in den großen Krieg nur bei der Sicherheit starker Landhilfe Groß- 
britanniens hineinziehen lassen werde. Lord Haldane und die anderen 
Autoritäten wollten zwar nicht, wie Lord Roberts und seine Anhänger, 
die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht, aber sie waren eifrig und 
zielbewußt mit der Neuorganisation des Heeres beschäftigt. Die Kennt- 
nisse und Erfahrungen, die Haldane sich mit amtlich-deutscher Genehmigung. 
in Deutschland verschafft hatte, trugen Frucht. 
Zn ironischem Gegensatz zu diesen wilden und dabei raffinierten 
Hetzereien standen internationale Besprechungen, welche von Ende 1908. 
bis Anfang 1909 zu London stattfanden: die Londoner Seerechtskonferenz. 
Zur Erklärung ihres Ursprunges muß auf die Haager Konferenz von 1907 
zurückgegriffen werden. Damals hatte man auch über Rechte der Neu- 
tralen und Pflichten der kriegführenden Mächte im Seekriege gesprochen 
und war sich schließlich auf einen deutschen Vorschlag hin grundsätzlich über 
die Errichtung eines internationalen Prisengerichtshofes einig geworden. 
Zm übrigen hatten sich, wie beiläufig bemerkt sei, sehr starke Meinungs- 
verschiedenheiten zwischen den deutschen und den britischen Delegierten. 
gezeigt, u. a. in der Erörterung über die Zulässigkeit der Anwendung von 
unterseeischen Minen unter verschiedenen Verhältnissen. Die Minenwaffe 
war durch die Erfahrungen des Russisch-Zapanischen Krieges 1904/05 zu 
einer vorher ungeahnten Bedeutung gestiegen. Eine ausgiebige Verwen- 
dung von Minen seitens der deutschen Seekriegführung in einem Kriege 
mit Großbritannien war schon damals für die britischen Autoritäten eim 
unangenehmer Gedanke, und man versuchte auf der Haager Konferenz — 
im „Interesse der Neutralen und der Humanität“ —, da nichts anderes- 
mehr fruchten wollte, möglichste Beschränkung des Minengebrauches zu 
erreichen. Die deutschen Bertreter aber ließen sich durch Phrasen nicht ein- 
wickeln und machten keine Zugeständnisse wesentlicher Natur. Der festen 
und geschickten Haltung der deutschen Vertreter auf der Haager Konferenz, 
von 1907 ist es sehr wesentlich zuzuschreiben, daß jetzt im großen Kriege 
Deutschland von Anfang an seinen Minenkrieg wirksam führen konnte, 
ohne im mindesten gegen irgendeine völkerrechtliche Bestimmung zu ver- 
stoßen. In der Tat hat sich dieser Punkt durch den allein untrüglichen Prüf- 
stein des Krieges als mit am wichtigsten von allen Ergebnissen der Haager 
Konferenz gezeigt. Damals bielt man allerdings die auf deutschen Antrag 
von der Haager Konferenz beschlossene Einrichtung eines internationalen 
Prisenhofes im Haag für etwas ungemein Bedeutendes und Weittragen-- 
des. Dieser Prisenhof sollte als Appellinstanz über den nationalen Prisen- 
gerichten im Seekriege von Neutralen angerufen werden, die sich durch 
die kriegführenden Parteien und deren Prisenhöfe beunrechtet oder nicht
	        
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