Orientpolitik und Boenische Krisis. 381
genügend vertreten glaubten. So wurde die internationale Appellinftanz
beschlossen und gleichzeitig ein Plan über die Art aufgestellt, wie der inter-
nationale Prisenhof zu wirken habe, wieviel Richter jeder der — übrigens
unzähligen — auf der Haager Konferenz vertretenen Staaten für den
Prisenhof stellen dürfe. Nach den Erfahrungen des großen Krieges braucht
man nicht unzufrieden zu sein, daß, wie vorgreifend bemerkt sei, der inter-
nationale Prisenhof nicht Wirklichkeit geworden ist. Ganz abgesehen davon,
daß im Kriege England ihn nicht als Autorität anerkannt haben würde, hätte
sich, gerade in Beziehung auf Deutschland, bei jeder Entscheidung des
Prisenhofes jene alte Majorität von der Konferenz zu Algeciras nur wieder-
bolt; in weiterer Folge hätte der ganze Apparat versagen müssen. Damals
jedoch nahm man diese Dinge sehr ernst und freute sich — ganz besonders
die Pazifisten — der hergestellten internationalen Gerichtsbarkeit. Man
erkannte aber an, daß eine Gerichtsbarkeit alo Grundlage und um über-
haupt ausgeübt werden zu können, eines Rechtes bedürfe. Um diesem
Mangel abzuhelfen, lud die Londoner Regierung am Ende eines bereits
seit 1907 gepflogenen Meinungsaustausches die Hauptseemächte 1908 ein,
zu Ende jenes Jahres eine Konferenz zu London zu beschicken. Dort
sollte ein internationales Kriegsrecht vereinbart werden. Das Ergebnis
der Londoner Konferenz war die seit dem Kriege so häufig genannte und
besprochene Londoner Deklaration.
Der Grundgedanke der Londoner Besprechungen ebenso wie des inter-
nationalen Prisenhofes war ausgesprochenermaßen: der Schutz der Neu-
tralen und ihrer Schiffahrt im Seekriege durch internationale Garantie.
In monatelangen Verhandlungen wurde man sich über eine große An-
zahl von Bestimmungen einig, so über Begriff und Handhabung von Bann-
ware, über Blockade, über Flaggenwechsel usw. usw. In anderen Punkten,
so in erster Linie über die Umwandlung von Handeleschiffen in Kriegsschiffe
und umgekehrt, konnte eine Einigkeit nicht erzielt werden. Die Londoner
Deklaration umfaßt über 60 Artikel und wäre in der Tat zu ihrem aller-
größten Teile geeignet gewesen, eine brauchbare und gerechte Grund-
lage für die Führung des Seekrieges, zumal insofern er sich gegen den See-
handel richtet oder ihn berührt, zu bilden. Auf der Londoner Konferenz
glaubten sogar die britischen Vertreter sich dem Gewichte der Gründe der
Gerechtigkeit und der Billigkeit der Sache nicht immer auedrücklich entziehen
zu dürfen, um so weniger, als die großbritannische Regierung selbst es
gewesen war, welche die Konferenz angeregt und die Einladungen an die
führenden Seemächte hatte ergehen lassen.
Sobald das Ergebnis der Konferenz, also die Deklaration, öffentlich
bekannt und begriffen worden war, begann in Großbritannien eine bittere,
leidenschaftliche Kritik an ihr. Man erklärte sie für ein „in Deutschland