Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Potsdam — Agadir — Tripolis., 1909—1912. 395 
  
Einschüchterung, Druck und Drohung zu siegen als durch Krieg. Er war der 
Uberzeugung, daß Deutschland, wenn man nur mit genügendem Ernste 
drohe und drücke, schließlich immer nachgeben werde, um einen großen Krieg 
zu vermeiden. Und so wurde dieses Mittel wiederholt mit Vorteil ange- 
wandt. In der Bosnischen Krisis versagte es aus den bekannten Gründen. 
König Eduard war von Abneigung gegen den Oeutschen Koaiser er- 
füllt und ließ sich dadurch wiederholt zu groben Unhöflichkeiten hin- 
reißen. Er liebte das Deutsche und die ODeutschen überhaupt nicht, besaß 
aber sachlichen Scharfblick genug, um die deutsche Tüchtigkeit als Ursache 
immer gefährlicher werdenden Wettbewerbes auf dem Weltmarkte zu 
erkennen und zu werten. Hier dürfte der eigentliche Kernpunkt seiner anti- 
deutschen Politik zu finden sein. Eduard VII. war viel zu nüchtern, um 
Besorgnis vor dem Wachsen der deutschen Flotte und vor deutschen In- 
vasionsabsichten zu empfinden. Der deutsche Flottenbau war ihm aber ein 
Dorn im Auge, weil dieser nach englischer Auffassung England zu immer 
größeren Flottenausgaben zwang und damit die geldliche Belastung größer 
wurde. Auch die Tatsache, daß der deutsche Flottenbau anderen Seemächten 
zweiten Ranges Mut gab, ihre Kräfte zur See zu vermehren, mußte auf 
die Dauer dem britischen Steuerzahler zur Last fallen. 
Die wachsende Macht und Wucht des Deutschen Bolkes und Reiches, 
wie sie schon automatisch aus seinem wirtschaftlichen Gedeihen mit dessen 
Folgen und aus der starken Bevölkerungsvermehrung hervorging, er- 
füllte Eduard VII. mit der Uberzeugung: hier habe Großbritannien ein- 
mal wieder einen großen Festlandfeind vor sich, welcher ebenso wie früher 
Spavien, Holland, Frankreich zerschmettert, zum mindesten unschädlich 
gemacht werden müsse; wie immer in jenen Fällen mit Hilfe aller übrigen 
europäischen Festlandmächte in britischen Diensten. Und mit dieser An- 
schauung fand König Eduard beinahe ungeteilten und verständnisvollen 
Beifall im großbritannischen BVolke. Es ist ganz unrichtig, wollte man von 
einer persönlichen Politik des Königs sprechen, die er gewissermaßen über 
den Kopf des Volkes hinweg und im Gegensatz zu dessen eigentlichemt Emp- 
finden getrieben hätte. Ein König von England, der nicht von der Zu- 
stimmung so gut wie aller politisch denkenden Briten begleitet und getragen 
wurde, hätte keine zwei Monate lang eine verfassungewidrige persönliche 
Leitung und Betreibung der auswärtigen Politik Großbritanniens durch- 
führen können. König Eduard ließ man es durchgeben, und einzelne Wider- 
sprüche wurden weder von ihm noch von anderen beachtet. Einen Unter- 
schied in der Beurteilung Deutschlands und der sogenannten deutschen Ge- 
fahr gab es zwischen den beiden großen Parteien Großbritanniens im 
Grunde nicht. Sie beide waren mit Eduards VII. Politik einverstanden 
und froh und stolz auf deren schnelle und große Erfolge. Eduard stand
	        
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