Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Potsdam — Agadir — Tripolis. 1909—1912. 397 
  
deöhalb mit um so mehr Bertrauen der vermeintlich neuen Ara entgegen. 
Wie diese in Wirklichkeit beschaffen war, zeigte im Sommer 1911 die 
Entwicklung der Ereignisse in Marokko. 
Dort war, wie angedeutet wurde, der von deutscher Seite erwartete 
Erfolg des Abkommens vom Februar 1909 nicht eingetreten. Die ge- 
wünschte wirtschaftliche Zusammenarbeit in Marokko und auch in Mittel- 
afrika wurde französischerseits abgelehnt. Sie scheiterte teils am Mangel 
guten Willens, teils an der Fülle feindseligen Ubelwollens in Frankreich. 
Regierung und Presse erklärten im Widerspruche zu den Tatsachen: Deutsch-- 
land verlange von Frankreich, daß die beiden Mächte Marokko wirtschaft- 
lich monopolisierten. Das würde die Algecirasakte verletzen, denn durch 
eine solche Monopolisierung würde der Handel der anderen Mächte, vor 
allem Englands und Spaniens, geschädigt und die angeblich von Deutschland 
vertretene Freiheit des Handels ohne Ungleichheit vernichtet. So habe 
Frankreich das Februarabkommen nicht gemeint. Häufige Kabinettswechsel 
erleichterten der französischen Regierung, die deutschen Vorschläge zu ver- 
schleppen, damit die deutschen Interessen zu schädigen und alle Anfänge 
einer Einigung unmöglich zu machen. Oagegen griffen die Franzosen gleich 
energisch zu, um sich die großen Vorteile des Februarabkommens 1909 zu 
sichern. Man trat nunmehr offen die Algecirasakte mit Füßen, insoweit sie 
sich auf die Unabhängigkeit des Landes und Souveränität des Sultans be- 
zog. Die übrigen Mächte, Großbritannien an der Spitze, ließen Frankreich 
wohlwollend gewähren, nur Spanien empfand Unbehagen, sah sich aber 
isoliert. 
Im Frühjahr 1910 war es Frankreich gelungen, dem Sultan Mulai 
Hafid eine große Anleihe aufzuzwingen. Er erhielt 80 Millionen Franken 
und verpflichtete sich, die französischen Feldzüge in Marokko innerhalb 
75 Zahren zu bezahlen. Die französische Rechnung für die bisherigen Er- 
oberungezüge belief sich auf weitere 70 Millionen Franken. Als Garantie 
mußte der Sultan seine sämtlichen Einnahmen verpfänden; sie wurden 
unter französische Kontrolle gestellt. Damit war der entscheidende Schritt 
getan, nämlich die Souveränität und Unabhängigkeit des Sultans und 
des Landes, ferner die Handelsfreiheit definitiv vernichtet, nachdem die 
Integrität des Gebietes schon im Zahre nach Abschluß der Algecirasakte 
durch die französische Besetzung verletzt worden war. Auch dem Abkommen 
von 1909 widersprach selbstverständlich dieses Borgehen. Der deutsche 
Staatssekretär v. Kiderlen-Waechter war noch im Winter 1910/11 ange- 
sichts dieser Entwicklung der Auffassung: die deutsche Politik habe während 
der letzten Jahre — vor seinem lmtoantritte — so viele französische 
Aktionen, die im Widerspruche zur Algecira#akte standen, gebilligt oder ohne 
Widerspruch sich vollziehen lassen und dadurch Vorgänge geschaffen, daß
	        
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