Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

398 4. Abschnirt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
man jetzt nicht mehr ohne weiteres eingreifen könne. Man müsse so lange 
warten, bie die Franzosen durch ihr weiteres Vorgehen eine neue Lage 
schafften. 
Diese neue Lage bahnte sich seit dem Frühjahr 1911 an. Seitdem 
der Sultan Mulai Hafid ganz in der französischen Hand war und keinen 
Widerstand mehr versuchte, wurde, wie stets in solchen Fällen, aus der 
früheren übelwollenden französischen Härte Wohlwollen und Nachsicht. 
Der Sultan benutzte seinerseits die französische Freundschaft zu Willkür- 
akten marokkanischen Stämmen gegenüber. Als diese dann ihrerseits 
reagierten, griff Frankreich den Vorwand auf und erklärte die Hauptstadt 
Marokkos, Fes, insbesondere die dortlebenden Europäer, für schwer bedroht 
und gefährdet. Mulai Hafid bat, französischen Instruktionen folgend, um 
Hilfe, und die französische Regierung tat den europäischen Mächten kund, 
sie sei munmehr verantwortlich und verpflichtet, die Souveränität des an- 
erkannten Sultans Mulai Hafid und das Leben der Europäer in Fes zu 
schützen. Eine bedeutende Truppenmacht unter Führung des Generals 
Moinier marschierte auf Fes, und die Stadt wurde am 21. Mai ohne Wider-- 
stand genommen. Es stellte sich heraus, was von deutscher und marok- 
kanischer Seite schon vorher aus Marokko mitgeteilt worden war, daß in 
keinem Augenblick eine Gefährdung der Europäer in Fes bestanden hatte. 
Der Zug nach Fes mußte in der Tat eine neue Lage in Marokko schaffen, 
denn er war etwas ganz anderes als die früher von Deutschland geduldeten 
Ausbreitungen im Schaujagebiete und nahe der algerischen Grenze, son- 
dern er bildete einen Stoß ins Herz des Landes, nämllich in dessen Hauptstadt. 
Die deutsche Regierung erbob keinen Einspruch gegen die Unter- 
nehmung auf Fes, brachte aber halbamtlich zum Ausdruck, daß die Ein- 
nahme der Hauptstadt durch französische Truppen im Widerspruche zur 
Algecirasakte stehe und mit ihrem Eintreten den übrigen Unterzeichner-- 
mächten der Algecirasakte ihre Handlungsfreiheit wiedergegeben werden 
würde. Der Staatssekretär v. Kiderlen-Waechter sagte in jener Periode 
dem französischen Botschafter Cambon als seine Ansicht: Frankreich würde, 
einmal in Fes angelangt, nicht wieder herausgehen, was Cambon natürlich 
wider besseres Wissen lebhaft bestritt. Der Staatssekretär ließ die Dinge 
dann ihren Gang gehen, entschlossen, die Gelegenheit zu benutzen, um die 
ganze Marokkoangelegenheit für Deutschland jetzt ein für allemal zur 
Erledigung zu bringen. 
Am 1. Zuli 1911 ankerte das deutsche Kanonenboot „Panther“ auf der 
Reede des marokkanischen Hafens Agadir, nachdem dortige deutsche Firmen 
die Reichsregierung um Schutz gebeten hatten. Kurz darauf wurde der 
„Pantber“ durch den kleinen Kreuzer „Berlin“ ersetzt. 
An die Unterzeichnermächte der Algecirasakte erging gleichzeitig die
	        
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