Potsdam — Agadir — Tripolis. 1909—1912. 399
folgende Note: „Deutsche Firmen, die im Süden Marokkos, und besonders.
in Agadir und Umgegend tätig sind, sind über eine gewisse Gärung unter
den dortigen Stämmen beunruhigt, die durch die letzten Ereignisse in anderen
Teilen des Landes hervorgerufen zu sein scheinen. Auf ihre Bitte hat die-
Regierung beschlossen, ein Kriegsschiff nach dem Hafen von Asgadir zu
entsenden, um nötigenfalls den deutschen Untertanen und Schutzgenossen,
wie auch den beträchtlichen deutschen Interessen in jenen Gegenden Hilfe
und Schutz zu gewähren. Sobald Ruhe und Ordnung in Marokko wieder-
gekehrt sein werden, soll das mit dieser Aufgabe des Schutzes betraute
Schiff den Hafen von Agadir wieder verlassen.“
Die Kölnische Zeitung erhielt zugleich die folgende halbamtliche De-
pesche aus Berlin: „Anderweitigen Meldungen gegenüber ist zu bemerken,
daß die Ausschiffung von Mannschaften in Agadir zunächst nicht beabsichtigt
ist und nur dann in Frage kommt, wenn sich die Notwendigkeit einer
solchen Maßregel zum Schutze von Leben und Eigentum der Oeutschen
herausstellen würde. Ebensowenig ist die Besetzung des Hinterlandes von
Agadir geplant. Es handelt sich bei diesem Schritte der deutschen Re-
gierung um Vorsichtsmaßregeln, nicht um einen Akt der Besitzergreifung.“
Die Note und das halbamtliche Zeitungstelegramm hoben sofort den
springenden Punkt hervor, daß die Kriegsschifföentsendung nach Agadir
keinen Akt deutscher Besitzergreifung marokkanischen Gebietes bedeuten
oder einleiten solle. Auch heute steht außer Zweifel, daß die deutsche Re-
gierung und im besonderen Kiderlen-Waechter an derartige Pläne von
Anfang an nicht gedacht hat. Wie angedeutet, war es seit langem der Wunsch.
und die Politik Kiderlen-Waechters, die Marokkofrage für Deutschland
aus der Welt zu schaffen. Der Staatssekretär war der Ansicht, daß die
deutsche Marokkopolitik rettungslos verfahren sei. Man müsse sie bei dem
ersten schicklichen Anlasse liquidieren. Kiderlen-Waechter stimmte nicht mit
der Marokkopolitik des Fürsten Bülow überein, hielt eine erfolgreiche Durch-
führung derselben für unmöglich und hatte sie durch das Februarabkommen
von 1909 eigentlich schon umgeworfen, denn Bülow hatte besonders auf
das Recht Deutschlands gehalten — ohne freilich energisch von diesem Rechte
Gebrauch zu machen —, auch politisch in die marokkanischen Berhältnisse-
bineinzureden, falls Frankreich oder eine andere Unterzeichnermacht die
Algecirasakte verletzen sollte. Kiderlen-Waechter beschränkte freiwillig.
die deutschen Marokkoansprüche auf das wirtschaftliche Gebiet. Auch das
bedeutete eine Verkennung der Berhältnisse und der französischen Politik,
denn Frankreich hat niemals daran gedacht, die marokkanische Tür wirt-
schaftlich wirklich offen zu lassen. Gerade durch seinen politischen Einfluß
und seine in dessen Dienst gebrauchten Machtmittel wollte und konnte
Frankreich die offene Tür schließen. Das wirtschaftliche und das politische.