402 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914.
gleich für den Gewinn Frankreichs durch das Protektorat. v. Kiderlen-
Weechter vertrat den Standpunkt: Großbritannien habe Agypten ge-
nommen, Frankreich erhalte nun Marokko, folglich müsse das Deutsche Reich
auch eine angemessene Entschädigung erhalten. An die Möglichkeit einer
solchen hatte man in Frankreich schon früher gedacht. Im Juni 1911, vor
der Entsendung des „Panther“, hatte die französische Presse davon ge-
sprochen und hatten auch die beiden Regierungen unverbindlich den
Gedanken erörtert, über Kompensationen für Deutschland außerhalb
Marokkos zu verbandeln; dabei fiel schon das Wort „Kongo“, und zwar
von französischer Seite. Die Wünsche und Ziele Kiderlen-Waechters also
waren der französischen Regierung keineswegs unbekannt, aber sie glaubte
augenscheinlich, e5 werde möglich sein, Marokko einzustecken, ohne Kom-
pensationen dafür zu geben.
Die deutsche Regierung legte ihren Standpunkt klar dar: man wollte-
Frankreich Marokko ganz, also als Protektorat überlassen, mit der Maß-
gabe, daß die deutschen Interessen und der deutsche Handel in Gegenwart
und Zukunft geschützt und garantiert würden. Hinsichtlich der Kompen-
sationen war der Leitgedanke Kiderlen-Waechters die Anbahnung eines
großen mittelafrikanischen Kolonialreiches. Sein Wunsch ging zunächst dabin,
das Gebiet der französischen Kongokolonie von der Küste bis zum Ssanga-
flusse zu erwerben. Er bielt diese Erwerbung für so wichtig, daß er kein
Bedenken getragen hätte, die kleine aber blühende deutsche Kolonie Togo
draufzugeben. Zu amtlichen Verhandlungen auf dieser Grundlage ist
es jedoch nicht gekommen, weil sich in Deutschland selbst starker Widerspruch
gegen einen solchen Austausch erhob. Zenen wichtigsten Teil der franzö-
sischen Kongokolonie zu erwerben, wäre aber in der Tat von großer Be-
deutung gewesen, denn er hätte im Bereine mit dem deutschen Kamerun
ein großes deutsches Wirtschaftsgebiet Westafrika gebildet, mit langer
Erenze an das belgische Kongogebiet stoßend, und hätte damit große wirt-
schaftliche wie politische Aussichten geschaffen. Das in französischer Hand
liegende Vorkaufsrecht auf das belgische Kongogebiet wäre an Deutsch-
land übergegangen. Oas hätte damals eine Zukunftemöglichkeit bedeutet,
aber die Grundlage wäre gleichwohl realer Natur gewesen und das Ganze
großzügig. Anderseits lag nabe genug, daß weite Kreise in Deutschland
von der Fortgabe einer so blühenden deutschen Kolonie, wie das Togo-
gebiet, nichts wissen wollten. Kiderlen-Waechter stand demgegenüber auf
dem Standpunkte, daß Togo vermöge seiner Lage keinerlei Aussichten im
Sinne einer Ausdehnung für späterhin hbätte, der Kongoplan aber von
böchster Bedeutung und großer Ausdehnungsfähigkeit wäre.
Oas war der Grundgedanke des Staatssekretärs. Er scheiterte ein-
mal an dem gedachten Widerstande und ferner, wie es scheint, daran, daß