Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Potedam — Agadir — Tripolis,. 1909—1912. 409 
  
französische Marokkovertrag als ein erfreuliches Ergebnis darstellen. Man 
hatte in der Tat den Eindruck, als ob seine Bestimmungen alle Möglich- 
leiten vorsähen und er sich deöhalb nicht umgehen, sondern nur brechen ließe. 
Frankreich hatte bieher in allen seinen Kolonien und Einflußgebieten nie- 
mals und nirgends den Grundsatz der offenen Tür in der Praxis gelten 
lassen. So nahm man es für ein bemerkenswertes Ereignis, als der der- 
zeitige französische Ministerpräsident Mr. Caillaux 1911 im Parlamente er- 
klärte: man werde für die Zukunft in neuerworbenen Gebieten die offene Tür 
anerkennen müssen. Kurz nachher war Caillaux gestürzt und wurde wegen 
seiner auf praktische Berständigung mit dem ODeutschen Reiche gerichteten 
wirtschaftlich-politischen Bestrebungen als Baterlandsverräter verschrien. 
Es ist ihm bis zum Kriege nicht wieder gelungen, eine führende Stellung 
und entsprechenden Einfluß zu erlangen. Das Abkommen über Marokko 
hat keine gründliche Erprobung durch die Praxis erfahren, aber schon 1915 
mebrten sich die Klagen deutscher Unternehmer und anderer Interessenten, 
daß sie von den französischen Behörden in vertragswidriger Weise benach-- 
teiligt würden. Für die deutsche Regierung wäre schließlich doch mur wieder 
die alte #2#lternative geblieben: die Kriegsfrage aufzuwerfen oder nachzu- 
geben. Oa sie nach wie vor die Politik verfolgte, Marokko alö Reibungs- 
fläche aus der Welt zu schaffen, so blieb als einziges Auskunftsmittel: 
weiter fortgesetztes Nachgeben. 
In der öffentlichen Meinung Deutschlands herrschte über den Gang der 
Verhandlungen wie über deren Ergebnis weitverbreitet starke Unzufrieden- 
heit. Die betreffenden nationalen Kreise glaubten dauernd fest, die deutsche 
Regierung habe zunächst tatsächlich die Absicht einer Fußfassung in Marokko 
gehabt und sei dann vor der englischen Drohung zurückgewichen. Wie ge- 
sagt, ist das nicht der Fall gewesen. Die Täuschung mag mit dadurch ent- 
standen sein, daß Organe der deutschen Regierung, zumal Kiderlen-Waechter 
selbst, zunächst meinten, es könne vorteilhaft sein, wenn in Deutschland ge- 
glaubt würde, die Regierung wolle die Fußfassung. Genug, das Ergebnis 
war schädlich, denn so erbielt die Regierung gerade von seiten eines in 
nationalen Fragen sehr rührigen Teiles der deutschen öffentlichen Meinung 
keine Unterstützung, wurde vielmehr bekämpft, sobald man glaubte, sie habe 
ihre Forderungen nach Gebiet in Marokko auf britisches Geheiß aufgegeben. 
Die Schleier, welche die Vorgänge jener Zeit bedecken, sind noch nicht 
alle gelüftet worden, das Folgende läßt sich deshalb nicht beweisen. Wohl 
aber ist in hohem Grade wahrscheinlich, daß die deutsche Regierung auf 
einem anderen Gebiete infolge der britischen Haltung nachgegeben hat. 
Das war das Gebiet der Kompensationsforderungen in Afrika. Kiderlen- 
Waechter hatte zunächst die Absicht, mit seiner Forderung des französischen 
Kongo bis zum Ssangaflusse der französischen Regierung die Frage: wollt
	        
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