Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

428 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
bereitungen genau Bescheid gewußt. Deshalb hat Haldane neben anderen 
Zustruktionen seines Kabinettes vor allem diejenige mitgenommen: die 
deutsche Flottenvorlage nach Möglichkeit zu Falle zu bringen. Als die Vor- 
lage nachher, im März 1912, eingebracht worden war, zeigte sich, daß sie an 
Neubauten von großen Panzerschiffen nur drei vorschlug und von diesen nur 
zwei für bestimmte Jahre vorgesehen waren, während die Entscheidung 
über das dritte wie über einen kleinen Kreuzer nicht getroffen worden war. 
Mit einer schnellen kräftigen Berstärkung des Bestandes der deutschen 
Flotte war es nichts geworden. Die Vorlage war, abgesehen von ihrem 
organisatorischen Teil, welcher die ständig in Dienst zu haltenden Berbände 
gegenüber der Reserveflotte vermehrte und von einer Bermehrung der Soll- 
stärke an Unterseebooten, ein Torso und für die Stärkung der Flotte von un- 
beträchtlicher Wirkung geworden. Sie brachte der Flotte beinahe nichts von 
dem, was sie so dringend brauchte: große gepanzerte Schiffe. Während der 
Anwesenheit Haldanes ist die Flottenvorlage hinsichtlich der damals zu 
kordernden Neubauten um mehr als die Hälfte zusammengeschrumpft. Nach 
diesem bedeutenden englischen Erfolge begannen die Verbandlungen über 
eine Formel für die von Deutschland gewünschte Verständigung zwischen den 
beiden Mächten. Haldane kehrte gleichzeitig nach London zurück, die Berhand- 
lungen wurden durch die Botschafter fortgesetzt. Die sehr interessanten Ver- 
handlungen können im Rahmen dieser Oarstellung nur gestreift werden. 
Fbre eingebende Oarstellung bleibt der Vorgeschichte des Krieges vorbehalten. 
Wie im Fahre 1915 durch die amtliche Norddeutsche Allgemeine Zei- 
tung festgestellt wurde, hat man Haldane zunächst den Vorschlag eines un- 
bedingten gegenseitigen Neutralitätsversprechens gemacht, also eines Ver- 
sprechens, welches Deutschland wie Großbritannien in jedem wie auch 
#immer gearteten Kriege zu gegenseitiger Neutralität verpflichtete. Haldane 
fand diesen Vorschlag zu weitgehend und reiste mit dem daraufbin ge- 
machten neuen deutschen Vorschlag nach London: „Oie Neutralität auf 
Kriege zu beschränken, bei denen man nicht sagen könne, daß die Macht, 
der die Neutralität zugesichert war, der Angreifer sei.“ Die großbritannische 
Kegierung fand auch diesen Borschlag zu weitgehend, und Sir E. Gren 
schlug dafür vor: „England wird keinen unprovozierten Angriff auf Deutsch- 
land machen und sich einer aggressiven Politik enthalten. Ein Angriff auf 
Oeutschland ist in keinem Bertrage enthalten und in keiner Kombination 
vorgesehen, der England zurzeit angehört, und England wird keiner Ab- 
machung beitreten, die einen solchen Angriff bezweckt.“ — Als der Reichs- 
kanzler hierauf die Vorstellung erhob, daß unter zivilisierten Mächten un- 
provozierte Uberfälle nicht üblich seien, und ebensowenig, sich solchen Kom- 
binationen anzuschließen, erklärte Grey sich bereit, seinen obigen Sätzen 
die Worte vorzuschicken: „da die beiden Mächte gegenseitig den Wunsch
	        
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