Die Sendung Lord Haldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 433
Kongogebiet bezogen, jedoch mit Unrecht. In Wirklichkeit handelte es
sich um das portugiesische Kolonialgebiet: im großen umschrieben durch
die Namen Angola in Westafrika als nördlicher Nachbar von Oeutsch—
Sudwestafrika, Mozambique in Südostafrika. Dieses alte Abkommen,
welches freilich wohl bis dahin nur in unbestimmten großen Zügen vor-
gelegen hatte, sollte nmunmehr, wie die großbritannische Regierung ver-
sprach, endlich eine Wirklichkeit werden und die Ehrlichkeit großbritannischer
Absichten Deutschland gegenüber erweisen. Beide Kolonien gehörten und
gehören bekanntlich Portugal. Das alte Abkommen hatte mit der Ver-
schuldung Portugals gerechnet und mit einer daraus sich ergebenden früher
oder später eintretenden Notwendigkeit, deshalb die Kolonien zu veräußern.
Seit König Eduards Thronbesteigung hatte im Gegensatz zu diesen Vor-
aussetzungen des Abkommens die großbritannische Regierung Portugal
geldlich unterstützt, um — und zwar mit Erfolg — zu verhindern, daß es
binsichtlich seiner afrikanischen Kolonien in die besagte Zwangslage käme.
Nun, im Zahre 1912, sollte alles anders und schöner werden. Man
glaubte in Deutschland aufrichtig an den Anbruch der neuen Ara. Im
Winter 1913 erschien eine vielgenannte Flugschrift „Deutsche Weltpolitik
und kein Krieg“, welche den Gedanken ausführte, daß Deutschlands kolo-
niale Zukunft in Mittelafrika liege und ohne Konflikte mit Großbritannien
verwirklicht werden könne. In der Flugschrift fand sich der Satz: „Dieses
Einverständnis zwischen England und Deutschland bildete (1912) den
eigentlichen Kern des europäischen Konzertes.“ Oie beiden früheren
Rivalen hätten sich zu einer Gemeinsamkeit politischen Handelns von ganz
unerwarteter Intimität zusammengefunden. Oas war 1912 und 1913
eine in ODeutschland weit verbreitete Auffassung, welche anscheinend von
der Regierung geteilt worden ist. In der Tat gelang es im Laufe der
Verhandlungen schon verhältnismäßig bald, um das Zahr 1915, zu einem
Abkommen mit Großbritannien über Portugiesisch-Afrika zu gelangen.
Nach allem, was über diesen Entwurf verlautet ist, gab Großbritannien
dem Deutschen Reiche freie Hand in ganz Angola und auf der ostafrikani-
schen Seite in dem Gebiete nördlich von dem Sambesiflusse. Zur Ber-
wirklichung diesee Abkommens über Kolonien, die immer noch Portugal
gehörten, sollte zunächst die wirtschaftliche Durchdringung dienen. Deut-
sches Kapital, Eisenbahnunternehmungen usw. sollten den Anfang machen.
Im Berlaufe dieser Durchdringungsarbeit würde dann früher oder später
ein Augenblick gekommen sein, wo Entstehung von Unruhen unter den
Eingeborenen energisches Durchgreifen nötig gemacht hätte. Dazu wäre
Portugal nicht imstande gewesen, deutsche bzw. britische Streitkräfte
hätten unter gegenseitiger Zubilligung eingegriffen und im Anschlusse
hieran Verhandlungen mit Portugal die Schaffung eines neuen Besitz-
Graf Reventlow, Deutschlands auswärtige Politlk. 28