Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Sendung Lord Haldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 433 
  
Kongogebiet bezogen, jedoch mit Unrecht. In Wirklichkeit handelte es 
sich um das portugiesische Kolonialgebiet: im großen umschrieben durch 
die Namen Angola in Westafrika als nördlicher Nachbar von Oeutsch— 
Sudwestafrika, Mozambique in Südostafrika. Dieses alte Abkommen, 
welches freilich wohl bis dahin nur in unbestimmten großen Zügen vor- 
gelegen hatte, sollte nmunmehr, wie die großbritannische Regierung ver- 
sprach, endlich eine Wirklichkeit werden und die Ehrlichkeit großbritannischer 
Absichten Deutschland gegenüber erweisen. Beide Kolonien gehörten und 
gehören bekanntlich Portugal. Das alte Abkommen hatte mit der Ver- 
schuldung Portugals gerechnet und mit einer daraus sich ergebenden früher 
oder später eintretenden Notwendigkeit, deshalb die Kolonien zu veräußern. 
Seit König Eduards Thronbesteigung hatte im Gegensatz zu diesen Vor- 
aussetzungen des Abkommens die großbritannische Regierung Portugal 
geldlich unterstützt, um — und zwar mit Erfolg — zu verhindern, daß es 
binsichtlich seiner afrikanischen Kolonien in die besagte Zwangslage käme. 
Nun, im Zahre 1912, sollte alles anders und schöner werden. Man 
glaubte in Deutschland aufrichtig an den Anbruch der neuen Ara. Im 
Winter 1913 erschien eine vielgenannte Flugschrift „Deutsche Weltpolitik 
und kein Krieg“, welche den Gedanken ausführte, daß Deutschlands kolo- 
niale Zukunft in Mittelafrika liege und ohne Konflikte mit Großbritannien 
verwirklicht werden könne. In der Flugschrift fand sich der Satz: „Dieses 
Einverständnis zwischen England und Deutschland bildete (1912) den 
eigentlichen Kern des europäischen Konzertes.“ Oie beiden früheren 
Rivalen hätten sich zu einer Gemeinsamkeit politischen Handelns von ganz 
unerwarteter Intimität zusammengefunden. Oas war 1912 und 1913 
eine in ODeutschland weit verbreitete Auffassung, welche anscheinend von 
der Regierung geteilt worden ist. In der Tat gelang es im Laufe der 
Verhandlungen schon verhältnismäßig bald, um das Zahr 1915, zu einem 
Abkommen mit Großbritannien über Portugiesisch-Afrika zu gelangen. 
Nach allem, was über diesen Entwurf verlautet ist, gab Großbritannien 
dem Deutschen Reiche freie Hand in ganz Angola und auf der ostafrikani- 
schen Seite in dem Gebiete nördlich von dem Sambesiflusse. Zur Ber- 
wirklichung diesee Abkommens über Kolonien, die immer noch Portugal 
gehörten, sollte zunächst die wirtschaftliche Durchdringung dienen. Deut- 
sches Kapital, Eisenbahnunternehmungen usw. sollten den Anfang machen. 
Im Berlaufe dieser Durchdringungsarbeit würde dann früher oder später 
ein Augenblick gekommen sein, wo Entstehung von Unruhen unter den 
Eingeborenen energisches Durchgreifen nötig gemacht hätte. Dazu wäre 
Portugal nicht imstande gewesen, deutsche bzw. britische Streitkräfte 
hätten unter gegenseitiger Zubilligung eingegriffen und im Anschlusse 
hieran Verhandlungen mit Portugal die Schaffung eines neuen Besitz- 
Graf Reventlow, Deutschlands auswärtige Politlk. 28
	        
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