Die Sendung Lord Haldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 439
miteinander ausgetauscht, welche, wennschon in vorsichtiger Form, die
zwischen Frankreich und Großbritannien bestehende Militärkonvention
politisch ergänzten und bekräftigten und Andeutungen machten, die über die
nicht nur defensive, sondern auch offensive Natur der britisch-französischen
Beziehungen keinen Zweifel ließen. Diese Briefe wurden — nach einer
Veröffentlichung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom Oktober
1914 — durch einen nicht genannten auswärtigen Bertreter des Deutschen
Reiches der deutschen Regierung mitgeteilt, und zwar im NMärz 1915.
Wenige Tage später bielt der Deutsche Reichskanzler die oben im Auszuge
angeführte Rede, in welcher er seiner Genugtuung über die Rückkehr des
BVertrauens zwischen den beiden Mächten Auedruck gab. Der Reichskanzler
hat also dem Grey-Cambonschen Briefwechsel nicht die Bedeutung zu-
gemessen, welche ihm zukam. In dem gleichen diplomatischen Berichte des
deutschen Bertreters vom März 1913 wurde die durch den Krieg bestätigte
Mitteilung gemacht: „Bezüglich der Abmachungen wegen einer Koopera--
tion zur See erfahre ich von gewöhnlich gutunterrichteter Seite das Fol-
gende: die englische Flotte übernimmt den Schutz der Nordsee, des Kanals
und des Atlantischen Ozeans, um Frankreich die Möglichkeit zu geben,
seine Seestreitkräfte im westlichen Becken des Mittelländischen Meeres
zu vereinigen, wobei ihm als Stützpunkt für die Flotte Malta zur Ver-
fügung geftellt wird. Die Einzelheiten beziehen sich auf die Verwen-
dung von französischen Torpedoflottillen und Anterseebooten im Kanal
und des englischen Mittelmcergeschwaders, das bei Ausbruch des Krieges
dem französischen Admiral unterstellt wird.“ Auch das waren keine
Vorbereitungen defensiver Natur, keine Dokumente britisch-französischer
Bertrauenswürdigkeit. Im gleichen Jahre der deutsch-englischen Ber-
ständigung 1912 war die gesamte französische Flotte, wie vorher geschildert,
im Mittelländischen Meere vereinigt worden, und im August war anläßlich
einer Reise des französischen Ministerpräsidenten Poincaré nach Peters-
burg eine französisch-russische Flottenkonvention abgeschlossen worden.
Anfang Juli aber waren Kaiser Wilhelm und der Zar an der russischen
Ostseeküste zu Baltischport zusammengetroffen. Man maß deutscherseits
dieser Begegnung große Bedeutung bei. Kaiser Wilhelm wurde vom
Reichskanzler begleitet, der Zar von seinem Ministerpräsidenten Kokowzow
und dem Minister des Auswärtigen, Ssasonow. Damit gewannen die Ge-
spräche zu Baltischport einen politischen und amtlichen Charakter, und
dementsprechend wurden für die deutsche wie für die russische Presse amt-
tiche Kommuniqués erlassen. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung
brachte den Satz: „Die Zusammenkunft hat auf beiden Seiten den Willen
befestigt, dauernde Fühlung zwischen Deutschland und Rußland in den
großen Tagesfragen zur Wahrung des europäischen Friedens zu unter-