Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

446 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Zaren in Aussicht. Der Bertrag wurde durch eine Bestimmung ergänzt, 
welche Bulgarien zur militärischen Hilfe für Serbien verpflichtete, wenn 
dieses von Osterreich-Ungarn gehindert werden sollte, seinen Weg durch 
den Sandschak Nowibasar und Albanien nach dem Adriatischen Meere zu 
nehmen. 
Während derselben Monate verhandelte Griechenland wegen der 
kretensischen Berhältnisse mit der Pforte und gelangte zu keinem Ein- 
verständnis. An dieser griechisch-türkischen Meinungsverschiedenheit setzte 
Bulgarien ein und zog den griechischen Ministerpräsidenten Venizelos ins 
Vertrauen. Oie Folge war im Frühsommer 1912 der Abschluß eines bul- 
garisch-griechischen Bertrages: Bulgarien und Griechenland verpflichteten 
sich zu gemeinsamer Durchsetzung von Reformen in der Europäischen Türkei 
und zu gegenseitiger Waffenhilfe, falls eines von ihnen durch die Türkei 
angegriffen würde. Mit Serbien schloß Griechenland damale keinen Ver- 
trag. Dagegen kam es im Frühherbst 1912 zum Abschlusse von Militär- 
konventionen Griechenlands mit Serbien und Bulgarien, welch letztere 
untereinander bereits im Frühjahr eine Militärkonvention geschlossen 
hatten, unter genauer Festlegung der Truppenstärken, welche die beiden 
Mächte zum Kampfe gegen die Türkei und eventuell auch gegen Osterreich- 
Ungarn zu stellen hätten. Mit Montenegro waren ebenfalls Abmachungen 
getroffen worden. 
So war die große Balkanorganisation mit einem Male nicht nur fertig, 
sondern kampfbereit. Die Türkei befand sich damals noch im Kriege mit 
Italien, außerdem, wie erwähnt worden ist, in den furchtbarsten inneren 
Schwierigkeiten, dazu kamen in Parlament, Regierung und politischen 
Kreisen scharfe und lähmende Gegensätze. Die angeführte Mahnung des 
Grafen Berchtold zur Dezentralisation und seine diplomatischen Schritte 
bei den anderen Mächten, um die Interessen der Türkei und der Balkan- 
völker auf friedlichem Wege annähernd in Einklang zu bringen, kamen zu 
spät und scheiterten. Im August forderte die bulgarische Regierung die 
Türkei auf, die Reformen in Mazedonien vorzunehmen, Ende September 
überreichten die Balkanbundmächte die Reformvorschläge dei der Pforte. 
Kurze Verhandlungen folgten, und am 8. Oktober wurden die Feindselig- 
keiten durch Montenegro eröffnet. Unmittelbar darauf stand der Balkan 
in Flammen, Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro führten 
ihren Angriffs- und Eroberungskrieg gegen die Europäische Türkei mit der 
Parole: Befreiung der christlichen Balkanpölker vom türkischen Joche. 
Dieser Balkankrieg von 1912, aus dessen Folgen mittelbar der Welt- 
krieg 1914/15 hervorgegangen ist, kann nur aus seiner Entstehungsgeschichte 
verstanden werden. Deshalb hat diese in großen Zügen kurz stkizziert 
werden müssen. Bon maßgebender Bedeutung für das Verständnis der
	        
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